Einflüsse auf das Muskelskelett?
BallettCompagnie Oldenburg nimmt an Forschungsprojekt teil
Das erste F°LAB – Festival for Performing Arts in Frankfurt beweist Mut
Seht her, das sind wir und so oder so sind wir. Das wollen wir, das können wir, das machen wir. Seht hin und lasst euch ein auf uns, auf unsere Experimente, auf unsere Versuche. Lasst euch vor allem mitnehmen auf unsere Reisen, die nicht selten bei uns selbst beginnen, wiederum dahin zurück führen und im besten Falle auch zu euch.
Uff, das waren heiße Abende im Frankfurter Laboratorium der experimentellen Künste zur Eröffnung dieses Festivals der interdisziplinären Kooperationen zwischen institutionellen Partnern wie dem Ensemble Modern, der Dresden Frankfurt Dance Company und dem Künstlerhaus Mousonturm mit der künstlerischen Hessischen Ausbildungsszene. Man mag es als geradezu programmatisch empfinden, dass die Tänzerinnen und Tänzer unter dem Motto „Open Grounds“ zur Eröffnung in ihren choreografischen Arbeiten nicht selten in performativer Kommunikation agierten, sich mit Installationen beteiligten, zu deren Stilen auch manche Ausstattungen und Kostüme sich fügten.
Gustavo Gomes eröffnete das Festival mit seinen choreografischen, performativen Variationen für sechs Tänzerinnen und Tänzer in einer humorvoll grundierten „Auseinandersetzung mit Privatheit sowie mit den Folgen der unablässigen Selbstentblößung in der Facebook-Instagram-Gesellschaft“. Selfie, Selfie, Selfie, wer hat die meisten Likes, und wie bringe ich mein „@“ um die Welt. Dass dabei Individualitäten und Persönlichkeiten total auf der Strecke bleiben war offensichtlich, denn alle, Männlein und Weiblein in einheitlicher, blonder Barbieperückenpracht werden austauschbar. Alles Selfie, oder was?
Mit „Drama, Chaos, Confusion und Madness“ von Rob Fordeyn und Ashley Wright ging der erste Abend zu Ende. In gewisser Weise schließt sich der Kreis, denn die Suche nach Identitäten und deren Verlusten stellen die vier Protagonisten in einen interdisziplinären, kunsthistorischen Rahmen, angedeutet mal direkter, mal verrätselt, in einer Installation, in der sich schon mal eines der Blauen Pferde von Franz Marc mit einer schwarzen Katze, Anna Magnani oder Susan Sonntag treffen können. Mit diesem Zusammentreffen individueller Dramen, kaum zu ordnendem Chaos, daraus resultierender Verwirrung und auch jenen Verrücktheiten, die mit dem Begriff „Madness“ an die britische Ska-Band oder auch nur an Partystimmung erinnern, schließt auch in einer Fortsetzungsperformance der zweite Abend, da war aber die Luft schon ein wenig raus.
Ulysse Zangs tanzt in seinem Solo „Criss Cross“ wie in einer Traumvision zu live gespielten E-Gitarrensounds von Friedrich Helbing. Eine fast meditativ wirkende, auch von spirituellen Momenten durchzogene Auseinandersetzung mit der Frage, ob Anfang und Ende nicht doch Eins sind. Die Szene wird dominiert durch eine leuchtende Installation, die an einen geöffneten, hoch gestellten Sarg erinnert. Der Tänzer aber geht einfach ab, er kommt verändert wieder, jetzt nur mit dem Rücken zum Publikum, auf einem kleinen Podest, am Mini-Keyboard. Man mag es mit Augenzwinkern nehmen, wenn sich am Ende die Bühne im Glitzer einer sich drehenden banalen Discokugel zum Universum weitet. Von den musikalischen Fähigkeiten des Tänzers und Choreografen kann man sich auch in zwei weiteren Arbeiten überzeugen.
So wie dieses Stück mit Maß und klarer Dramaturgie überzeugt, so auch „Whole“ von Daphne Fernberger, ihr Tanzpartner ist Ulysse Zangs. Zwei exotisch gekleidete Menschen in eleganter Zweisamkeit, die aber doch in die Entfernung führt, dann mit beeindruckenden Gesten der Einsamkeit und Sehnsucht. Und natürlich immer wieder so ein bisschen Forsythe, warum nicht, und an Jacopo Godanis Bewegungsvokabular wird man auch partiell erinnert.
In unterschiedlichen Konstellationen, mit einer Wand, die umgekippt und wieder aufgestellt wird, dem Vorhang, der sich mal kurz schließt, bekennt sich Julian Nicosia in „Act I - How long is now“ bewusst zu unklaren Strukturen und gibt den sieben Tänzerinnen und Tänzern die Möglichkeit, immer wieder ihr individuelles Timing zu behaupten. Am Ende eine schöne Szene, bei der die Protagonisten trotz starkem Gegenlicht auch noch in den Konturen Individualität behalten.
Klassische Motive, besonderen Einsatz des Spitzentanzes, bei mitunter wie gehackt wirkenden Bewegungen für das beeindruckende Trio Felix Berning, Barbora Kubátová und Michael Ostenrath verwendet Claudia Philips in ihrer Arbeit „Duality of Both“, bei der die in Lichtinstallationen getauchte Bühne schon mal zum Märchenwald werden kann, in der – das ist ja so üblich – Hindernisse überwunden werden müssen, die mitunter selbst in den Weg gelegt werden.
Rhythmisch, revueartig, zu scharfem Sound, wie es sich für ein Eröffnungsstück gehört, beginnt am zweiten Tag des Festivals „Trans-Human Reflection“ von Joel Small zur Musik von Moderat. Da birst die Energie, die sieben Tänzerinnen und Tänzer – alle hat man schon gesehen, jetzt sieht man sie ganz neu – haben sichtlich Freude an diesem Spiel mit den großen Spiegeln, eine pure Selbstbespiegelung wird es nicht.
Lässt sich unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit, die gesteuert ist durch chemische und elektromagnetische Impulse in unseren Gehirnen, davon befreien? Diese Frage beschäftigt David Leonidas Thiel in seinem mit dem programmatischen Titel „Chemical Creatures“ für Michael Ostenrath und Joel Small, bei dem er ganz logisch auch entindividualisierende Masken verwendet. Zunächst meint man ein Doppelwesen wahrzunehmen, skurrile Abhängigkeiten werden immer wieder durch Blitzlichter verändert, dann bestimmen Lichtkreise den Bewegungsraum der Tänzer. Nähe und Entfernung werden durch weitere Lichtbestimmungen vorgegeben, bis sich in filmischer Verfremdung bei leicht versetzter Synchronität die Szene in freundlichem Hoffnungsschimmer auflöst. Die Masken wurden abgelegt, erste Schritte selbstbestimmter Wahrnehmung.
Gustavo Gomes, Claudia Philips und Joel Small tanzen „#Twowiththree“ von Anne Jung. Zunächst muss man genau hinhören, um wahrzunehmen, dass es sich bei der Musik von Cyril Baldy um eine stark verfremdete Variationen zu dem Lied, „Sag mir wo die Blumen sind“ handelt. Und die Frage des Liedes, wann man denn je verstehen werde, bestimmt wohl das Anliegen der Choreografin bei ihren bewegenden Führungen der Tänzer in eine Vielzahl von Möglichkeiten der Präsenz. Es beginnt mit einer Abfolge von Bewegungen, die man für regelrechte Glückswellen halten mag. Dann, solistisch, im Pas de deux, im Pas de trois, werden vom Licht in streng begrenzten Streifen Grenzen gesetzt, die sich rasch verändern und somit das Reaktionsvermögen besonders fordern. Am Ende eine Abfolge von Wechseln, auch der geschlechtlichen Zuordnungen, und ein wunderbares Bekenntnis zur Kraft der Emotionen unter herabrieselnden Blütenblättern.
Diese Arbeiten, bei aller Unterschiedlichkeit, eint der Mut aller Mitwirkenden, sich voll auf kreative Risiken einzulassen. Das Publikum, trotz wahnsinniger Hitze im Saal ohne Klimaanlage, lässt sich ebenfalls ein. Es wird belohnt – wann hat man schon eine solche Chance, sich mitnehmen zu lassen in das Labyrinth der Experimente, auf die Irrwege bei der Suche nach sich selbst, in die existenziellen Auseinandersetzungen um die Fragen nach dem Woher und Wohin, in die so authentische, wie mutige Schutzlosigkeit junger Tänzerinnen und Tänzer, und sich so gefangen nehmen zu lassen von der großen Kraft des wunderen Charmes der produktiven Unvollkommenheit.
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