Holzingers Heilige Schwestern
„Sancta“ von Florentina Holzinger nimmt sich mit Rollschuhen und Kletterwand der Religionskritik an
Florentina Holzingers weibliche Sicht auf die Neoklassik
Sie scheinen nicht zusammenzupassen: die Florentina Holzinger, wie sie im Interview erscheint, nachdenklich, leise, beinahe schüchtern und entwaffnend ehrlich, und die Kunstfigur, als die sie in ihren Stücken erscheint, rigide im Umgang mit dem eigenen Körper, demonstrativ feministisch, provokant in den Themen. Absichten, Ziele - ich weiß nicht, sagt sie: Der Prozess ist mir wichtig, das Produkt eher egal, Geld muss man verdienen, seinen Mund stopfen, sich irgendwie durchschummeln und dabei professionell wirken. Ein Mitteilungsbedürfnis habe sie nicht, der zeitgenössische Tanz ist offen, experimenteller als das Theater, braucht nicht das Wort - und setzt es doch in den Stücken ein. Ihr Weg begann eher unspektakulär. Nach dem Gymnasium studierte die gebürtige Wienerin kurz Architektur und Betriebswirtschaftslehre, merkte aber schnell, dass ein Bürojob nicht ihre Zukunft sein konnte. Auch Ballerina war nie ihr Traum, in jedem Fall war Bewegung für sie notwendig.
Vier Jahre lernte sie in der renommierten New School of Dance Development in Amsterdam, nahm den Schulnamen ernst: New Dance wollte sie erfinden, das tun, was sie mit ihrem Körper wichtig findet. In dem Niederländer Vincent Riebeek hat sie bald einen ähnlich denkenden Mitstreiter. Doch vorher entsteht im dritten Jahr ihr Solo „Silk“, in dem sie erstmals Artistik am Schal einbezieht und mit dem sie beim Festival ImPulsTanz Wien einen Preis gewinnt. Dann startet die Erfolgsgeschichte des Duos mit „Kein Applaus für Scheisse“ als Diplom-Choreografie. Wen soll das interessieren, fragen sie da noch bang, was kann dem Kunstmarkt, von dem junge Künstler abhängig sind, standhalten? Geld ist kaum vorhanden, also muss man den eigenen Körper vermarkten, mit und aus ihm ein Spektakel machen. Die Rechnung geht auf.
Von einem Flirt mit den Grenzen, was auf der Bühne möglich ist, schreibt die Presse: Tanz, Gesang, Akrobatik verschmelzen zu einem radikalen Körper-Kunst-Cocktail. Sie agiert an den Strapaten im Bikini, er genüsslich nackt, beide gelten als Europas provokanteste Nachwuchschoreografen. Geht es hier um die Body- und Performance-Art der 1970er, behandelt „Spirit“, schon als internationale Koproduktion, unter großen Babymasken über unschuldiger Nacktheit Popkultur und Psychomagie. Und ist das Ticket ins Tourneegeschäft. Damit kommt auch Verantwortung im Umgang mit Steuergeld, weiß Florentina Holzinger. Das neu Gefundene muss verteidigt werden, sich in der Live-Performance bewähren, verändert sich. Die Naivität des Anfangs weicht dem kalkulierten Bühnenerlebnis, zwar mit Struktur, wiewohl mit Improvisation.
„Wellness“ über die Heilwirkung von Kunst kam hinzu. Diese Trilogie habe sie als Persönlichkeit beeinflusst, auch ihrer beider Beziehung als Künstler. Motto bleibe jedoch: Körperfreiheit ohne selbst auferlegte Zensur. Die Einladung in ein Tanzarchiv hatte Folgen: Interesse an der Tanzgeschichte, etwa an Vaclav Nijinsky, dem Startänzer und Avantgarde-Choreografen der Ballets russes. Das schlug sich nieder in „Schönheitsabend in drei Akten“, der sich um drei berühmte Paare dreht, auch das Skandalpaar Anita Berber und Sebastian Droste, Nackttänzer aus dem Berlin der 1920er. Doch Nacktheit ist ein theatrales Mittel, eine Art Bühnenkostüm, kommentiert knapp ein Jahrhundert später Florentina Holzinger, mag sich als Geisterverwandte empfinden. Eine benennbare Grenze, was man auf die Bühne stellen kann, sieht sie nicht: außer Scheiße, die verbiete sich aus geruchshygienischen Gründen. Was man jedoch inhaltlich zeige, stehe in Verhandlung einzig mit einem selbst, bloß langweilig darf es nicht sein.
Das Duo Holzinger-Riebeek kann auch heiter. So tanzten sie aus „Schönheitsabend“ beim Festival Theater der Welt in Mannheim auf dem Gelände einer Kakaubohnenfabrik das Liebesduett von Scheherazade und ihrem Sklaven; ein Kran warf das gezeugte Kind ab, sie floh per Auto, er stürzte sich von der Halde. Ob der steinige Boden Schmerzverleugnung verlangte, kann man nur vermuten. Mit Schmerz geht das Stück um, mit dem Florentina Holzinger und ihre Tänzerinnen in den Sophiensaelen gastieren. „Apollon Musagète“ zitiert eine Choreografie von George Balanchine, entstanden 1928 für die Ballets russes und seither ein Paradestück des neoklassischen Repertoires: Uns reizt, was sich ändert, wenn man Apoll von einer Frau tanzen lässt, die mit ihren Musen spielt. Eine wird sich im Stil amerikanischer Sideshows Nadeln in die Haut, Nägel in den Kopf stechen, bis Blut fließt. Welcher Part der zierlichen Florentina Holzinger zukommt, soll man sehen.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments