„(…)“ von Marquet K. Lee. Tanz: Ruby Wilson.

„(…)“ von Marquet K. Lee. Tanz: Ruby Wilson.

Gedankenspiele und Dokumentartanz

Thematische Vielfalt bei den 26. Tanztagen Berlin in den Sophiensaelen

Was einst als Leistungsschau der Berliner freien Szene auf dem Pfefferberg begonnen hatte, ist ein erwachsenes Festival für junge in- und ausländische Choreografen geworden.

Berlin, 12/01/2017

Wie die Zeit vergeht! Zum nunmehr 26. Mal drängen wir uns bei den Tanztagen in den Sophiensaelen. Wie viele Karrieren hier ihren Anfang nahmen, ist kaum zu überblicken. Was einst als Leistungsschau der Berliner freien Szene auf dem Pfefferberg begonnen hatte, ist ein erwachsenes Festival für junge in- und ausländische Choreografen geworden. Sie leben hier, sind eben hergezogen oder wurden von der künstlerischen Leiterin Anna Mülter eingeladen. Acht Premieren und vier Wiederaufnahmen halten die elf Festivalabende bereit. Vielfältige Performances bestimmten die ersten Tage.

Zur Eröffnung ließen der Tänzer/Choreograf Tarren Johnson und die Bildende Künstlerin Mira O'Brien aus den USA drei Akteure durch eine Installation aus ständig umgruppierten Glasplatten irren. „Shade“, mit 50 Minuten entschieden zu lang, verknüpft in Zeitlupentechnik Gesangsfetzen und Bewegungsschnipsel mit Videosequenzen zu einem Mix, der rasch langweilt, weil weder Bauprinzip noch tiefere Absicht erkennbar werden. Wohin dieser künstlerische Weg führt, bleibt abzuwarten. Das gilt ähnlich für Maria Walsers Duett „What a thought is not“, wiewohl sie, Ex-Tänzerin in Nürnberg und Oldenburg, und ihre Duopartnerin Emma Tricard über starke Bühnenpräsenz verfügen. Mit Tierkopf, Schwein und Maus, befragen sie Objekte darauf, was sie nicht sind, und unterziehen so die Realität und ihre Begriffe einer Neubefragung. Was ist wirklich, was hat Bedeutung, was einen Sinn? Kann etwa ein Besen die Rolle der Bedeutung übernehmen? Gibt es eine bedeutungslose Stille? Und ist die Wahrheit eine Illusion? Um angebotene und abgelehnte Freundschaft geht es, untermalt vom schmelzenden Duett Nadir/Zurga aus Bizets Oper „Die Perlenfischer“, und darum, dass ‚a lie a lie is’ – Gertrude Stein lässt grüßen. Absurdes amüsant zu servieren ist schwer, Walser/Tricard ist es gelungen.

Weniger trifft das auf den zweiten Teil dieses Programms zu. Zu „(...)“ bemüht Marquet K. Lee, zuletzt engagiert im Ballett der Deutschen Oper am Rhein, ein Zitat von René Magritte über unser Interesse gerade am Nichtsichtbaren. Zwei Performerinnen sammeln sich dazu hinter einer Jalousie, machen die Lamellen durchsichtig und begeben sich in Wiederholung und zu denselben Videosequenzen, so sinnreich einem Doppellift, auf der Szene in tänzerischen Kontakt. Die quietschenden Sohlen hinterlassen akustische Spuren, bisweilen kommt es zu Behinderung und auch Kampf, kaum jedoch zu einer klar ortbaren Bewegungssprache und nachvollziehbarer Bedeutung. Überraschend hingegen ein neues Festivalformat: „Documentary Dance“. Vier 15-Minuten-Beiträge im selben Raum, indes jeweils mit einer anderen Lokalisierung, fächerten auf verblüffende Weise menschliches Verhalten auf. Mit der Verunsicherung ihrer Zuschauer spielt gekonnt Elpida Orfanidou. Die studierte Apothekerin hantiert mit natürlichen Essenzen und mixt unterhaltsam aus Rosmarin, Ingwer, Kurkuma, Ginseng, Muskat, Safran, Drachenblut ein Getränk, das zunächst niemand verkosten möchte. Als sie selbst trinkt und ihr Patent als Fachkraft vorzeigt, ist der Bann gebrochen. Etwas Magie scheint dennoch im Schwange bei all ihrer Aufklärung über den Nutzen der Ingredienzien.

Ein ernstes Thema greift Magda Korsinsky anhand von Interviews in „Stricken“ auf. Fröhlich tanzt ein afrodeutsches Mädchen, erst allein, dann mit der Mutter. Großmutter schien ihnen die perfekte Hausfrau, bis nach deren Tod NSDAP-Ausweise gefunden wurden. Ein großes Mädchen darf doch nicht weinen, hatte sie oft das Kind zurückgestoßen. Zuneigung konnte sie nicht geben, nur Perfektion – und die nachwirkend anerzogene ‚Pädagogik’. Wie Kunst, Unterhaltung und Politik zusammenwirken, untersucht Zeina Hanna an ägyptischen Filmen der 1930er und 1940er Jahre, der „goldenen Ära“. Exemplarisch steht dafür die Karriere der syrisch-drusischen Sängerin/Schauspielerin Asmahan, ein Star wie Oum Kalsoum. „Love and Revenge“ heißt ihr letzter Streifen vor einem mysteriösen Tod durch Autounfall mit nur 27. Als Agentin vom Schlage einer Mata Hari war sie offenkundig zwischen die Fronten geraten.

Besonders spannend versprechen jene Tanztage-Abende zu werden, an denen sich unter dem Motto „Around the World“ fünf Stücke vom Untimely Festival Teheran, einer Plattform für den im Land offiziell verbotenen zeitgenössischen Tanz, vorstellen. Sorour Darabi, nach Paris übergewechselt, gab mit dem Solo „Farci.e“ den Einstand: wie heimische Restriktionen den Menschen noch im Ausland verkrüppeln.
 

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