Headbangen mit Yetis
„Hello Stranger“ am Jungen Theater Regensburg umkreist humorvoll Pubertät und Identitätssuche
„One“ – Pause mit viel Dynamik, Bewegung, Tanz. „Two!“ Erneut schnelle Querungen auf der Bühne im Velodrom, reichlich Schwung, Energie, Drive. „Three!“, ruft eine Tänzerin ins Mikrofon. „Sie können gern mit raten“, fordert eine andere Tänzerin das Publikum in der voll besetzten Halle auf, als ein Tänzer mit komischen Verrenkungen, Gesten und Mienenspiel etwas darzustellen versucht, das die anderen Mitglieder der Kompanie erraten müssen. „Cricket?“ - „Yesss!“ Es geht schnell zu, rasant bisweilen, bei der letzten Choreografie des Abends. Wie die fünf anderen Tanzstücke ist auch „Match“ der Gastchoreografin Natalia Rodina eine Uraufführung und setzt der Premiere der „Tanz.Fabrik! Fünf“ ein weiteres strahlendes Glanzlicht auf.
Wild gestikulierend und zunächst leise, dann immer lauter werdend laufen die EnsemblemitgliederInnen in schwarzen Anzügen über die Bühne. Bauen sich schließlich aggressiv vor dem Publikum auf. In Rodinas schneller Choreografie dreht sich alles ums Spielen und die daraus erwachsenden Erfahrungen, die jeder im Leben macht. Es wird tanzend erbost gestritten, Gemeinsamkeit erlebt und sich dem Rauschhaften dieses Zustands bis scheinbar zur Erschöpfung hingegeben. Und es wird geredet, erzählt von der Kindheit und eigenen Erlebnissen – aber wirklich wichtig dabei ist, wer erzählt und wie es geschieht. Damit bildet die Choreografie der gebürtigen Russin, die unter anderem in der Frankfurter Forsythe Company getanzt hat, einen Kontrapunkt zu den meisten anderen Choreografen, die sich kritisch mit den Themen Interaktion und Meinungsbildung in der heutigen Zeit von Netzwerk-Kommunikation, gefälschter Nachrichten und Informationsüberforderung beschäftigen.
Ganz direkt nennt der taiwanesische Tänzer Tsung-Hsien Chen seine Kreation „Bubble Society“ nach dem Phänomen, dass jeder Internetsurfer nur noch solche Informationen vorgeschlagen bekommt, die sein eigenes Weltbild verstärken. Erkennbar wird das an der Kleidung, der sich einer der sechs Tänzer entledigt, und in die gegen Ende ein anderer hineinschlüpft. Im Tanz selbst, bei dem Chen vergleichbar zu Rodina ein durchaus eigenes Bewegungsvokabular entwickelt hat, bleibt der thematische Ansatz eher im Nebulösen hängen. Was wiederum nichts über die hohe Qualität des Tanzens selbst aussagt, bei der das Ensemble insgesamt noch einmal ein Stück über sich selbst hinausgewachsen zu sein scheint. Der Abend insgesamt brachte eine enorme Leistung zum Vorschein, auch weil er von einer hohen Dynamik, Schnelligkeit und raumgreifenden Bewegungen geprägt war. Ein Manko bei einigen Choreografien, darunter auch die Chens, die auf geräuschhafter Musik und wuchtigen Elektrogrooves basieren, war die überdrehte Intensität im niederfrequenten Bassbereich. Hier stieß der Sound gelegentlich an die Grenze des Zumutbaren, da Schmerzhaften.
Mit verspielt-ironischem Witz brachte Louisa Poletti ihre Kritik an Desinformation und falscher Verbindung(en) in ihrem Ensemblestück „Disinfornnect“ pointiert zum Ausdruck. Vor allem die Idee, dass sich die TänzerInnen mittels Taschenlampen selbst bespiegeln und damit eine surreal-geisterhafte Stimmung erzeugen, lässt die Choreografie in einem poetisch-bildmächtigen Licht erscheinen. Auch Simone Elliotts vorwärtsdrängendes, dabei warmes Quartett-Stück „Sort Sol“ überrascht mit einem ungewöhnlichen Einfall. Eine Tänzerin (Tiana Lara Hogan) verkörpert auf beeindruckende Weise mit verbundenen Augen das Vertrauen zueinander, das Voraussetzung dafür ist, um etwas gemeinsam – mit anderen TänzerInnen und im Leben – zu erreichen. Reduziert auf Tisch und Stuhl, als Symbole für etwas Gemeinsames, greifen Fabian Moreira Costa und Tiana Lara Hogan bei einer Face-to-Face-Begegnung dagegen ins Leere - in Hogans Duett „What´s On Your Mind?“. Trotz der beunruhigenden Thematik strahlt es eine unerwartete Stärke und innere Ruhe aus. Am Ende sitzt er alleine am Tisch.
Niemals alleine ist demgegenüber einer der drei ProtagonistInnen von „In Between“, selbst und gerade in hinreißend getanzten Konfliktsituationen. In dieser Gemeinschaftschoreografie vertanzen die beiden Italiener Alessio Burani und Simone Frederick Scacchetti und die Amerikanerin Simone Elliott ein Stück ihrer eigenen, persönlichen Geschichte, die sie in Regensburg an der Donau zusammengeführt hat. Zu Satie-inspirierter Pianomusik hat das Trio in roten Socken Bilder von inniger Wärme und sanfter Melancholie geschaffen, in der sich die Erwartung des einstigen Getrenntseins abzeichnet. Wer nach der letztjährigen Nummer vier ein ähnlich gutes, spannendes und abwechslungsreiches Tanzerlebnis erwartet hat – in Nr. 5 der „Tanz.Fabrik!“ findet er die Steigerung.
Info: Weitere Vorstellungen am 15. und 16. Juli, jeweils um 19.30 Uhr.
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