Antje Pfundtner in Gesellschaft mit „Alles auf Anfang“ in der Kampnagelfabrik
Antje Pfundtner in Gesellschaft mit „Alles auf Anfang“ in der Kampnagelfabrik

Chaotisches Stelldichein

Antje Pfundtner in Gesellschaft mit „Alles auf Anfang“ in der Kampnagelfabrik

So freundlich wird das Publikum selten begrüßt, wenn es einen Theatersaal betritt: „Oh wie schön, oh wie schön, oh wie schön – oh ja!“ jubelt ein Chor auf der Zuschauertribüne immer wieder.

Hamburg, 16/02/2018

So freundlich wird das Publikum selten begrüßt, wenn es einen Theatersaal betritt: „Oh wie schön, oh wie schön, oh wie schön – oh ja!“ jubelt ein Chor auf der Zuschauertribüne immer wieder, was ein Lächeln auf das Gesicht jedes Eintretenden zaubert. Eine raumhohe türkisfarbene Lammellenjalousie teilt den Bühnenraum zum Eingang hin zur Hälfte ab. In einer Nische lagert eine riesige weiße Plastikkugel. In der Mitte der Bühne klingelt ein Festnetztelefon vor sich hin.

Mit dieser Szenerie beginnt das jüngste Werk „Alles auf Anfang“ der Hamburger Choreografin Antje Pfundtner, die 2016 mit dem George Tabori Hauptpreis ausgezeichnet wurde und für ihre Crew aus wechselnden Tänzer*innen und künstlerischen Mitarbeiter*innen ihrem Namen die Worte „in Gesellschaft“ hinzufügt. Es ist der zweite Teil einer Trilogie über die Vergänglichkeit, deren erster den Titel „Ende“ hatte und sich der Melancholie stellte, die ein bevorstehendes Ende mit sich bringt (die Uraufführung war Ende 2016 auf Kampnagel). Jetzt also der Gegenpol dazu: der Anfang.

Nach dem freundlichen Publikumsempfang betritt eine Frau die Bühne und hebt das Telefon ab, eine Gruppe von Menschen in Alltagskleidung mit unsagbar hässlichen Langhaarperücken tritt hinzu. Das Telefonat entwickelt sich wenig erfreulich, denn plötzlich beginnt die Frau durchdringend zu kreischen und zu schreien. Eine weitere Gruppe von perückentragenden Alltagsmenschen tritt hinzu. Von rechts rollt die große weiße Kugel herein, der die vielen Menschen flugs ausweichen müssen, bis sie am linken Rand zur Ruhe gebracht wird. Die Menschen verteilen sich auf der Zuschauertribüne.

Zurück bleibt die Frau, die das Telefonat geführt hat und inzwischen aufgehört hat zu schreien. Rockmusik setzt ein. Sie nimmt die Perücke ab. Zwei Männer kommen hinzu. Dass es Tänzer sind wie die Frau, wird an der Kleidung deutlich: senfgelbe Oberteile und Hosen in gedeckten Farben (Kostüme: Yvonne Marcour) sowie daran, dass sie barfuß sind. Abrupt stoppt die Musik, hallt aber noch nach. Bis erneut Musik einsetzt: das „Air“ von Johann Sebastian Bach, und wieder abbricht. So geht es weiter mit verschiedenen Titeln: „Paint it black“ von den Stones, „The Winner takes it all“ von Abba, immer nur kurz angespielt, während die drei Frauen und zwei Männer dazu tanzen, mit schnellen Sprüngen, Läufen, ineinandergreifenden Bewegungen, immer wieder von Neuem.

Einer der Tänzer klimpert auf einer Gitarre und legt sie schließlich zwischen dem Publikum auf der Tribüne ab. Alle fünf Tänzer*innen finden sich vor zwei Notenständern ein und beginnen zu flöten – mehr oder weniger gekonnt. Ein Tänzer stülpt sich ein überdimensionales Quietscheentchen-Kostüm über und wird unter spitzen Schreien von der großen weißen Kugel gejagt. Eine Tänzerin (Antje Pfundtner selbst) beginnt ein Märchen zu erzählen, von der Prinzessin Ann, die in einem Turm gefangen ist, und dem Ritter, der sie daraus zu befreien versucht, woraus sich ein lustiges Wortspiel aus den zwei Silben „an(n)“ und „fang“ entwickelt.

Eine der Tänzerinnen zieht vier Perückenträgern, die sich im Publikum verteilt hatten, das Kunsthaar vom Kopf und gibt es an die Tänzer weiter (eine Perücke lag noch am Boden und kommt jetzt wieder zum Einsatz), während die Tänzer in wechselnder Reihenfolge „I begin – again“ sagen, was jetzt auch von dem anfangs erwähnten Chor aufgenommen wird und sich bis zur Kakophonie steigert. Die Tänzer legen die Perücken wieder ab. Elektronische Musik setzt ein, zu der sich die Tänzer wie in Zeitlupe bewegen. Eine Frau bringt einen Korb mit Äpfeln und kippt ihn auf der rechten Seite auf dem Boden aus, so dass die Äpfel herumkullern. Antje Pfundtner nimmt sich einen von ihnen und beginnt ihn aufzuessen. Von rechts schiebt sich eine Miniatur-Berglandschaft in Weiß auf einem Rollwägelchen dazu. Antje Pfundtner entwickelt ein Wortspiel zu den Anfangsbuchstaben E, V und A, während sie weiter an ihrem Apfel kaut. Von rechts nähert sich eine kleine Prozession mit seltsamen asiatischen Kostümen, die nach links abgeht, nur der letzte bleibt stehen und schält sich aus seinem Kostüm. Jetzt kommen die Perückenträger wieder aus dem Publikum auf die Bühne, und der Tänzer bringt ihnen eine kleine Schrittfolge bei. Danach gehen die Leute zurück auf ihre Plätze. Nur einer setzt sich hin und erzählt die Geschichte seiner Online-Suche nach einer Partnerin, die schließlich in einem Gesang mündet, der vom Chor aufgenommen und verstärkt wird. Zum Schluss holt der Gitarrist sein Instrument wieder auf die Bühne und singt ein ziemlich dilettantisches Ständchen auf eine Frau namens Marie beziehungsweise Maria. Licht aus. Ende.

Eine Stunde lang dauert dieses Stelldichein wechselnder Gruppen und Personen (ich hoffe, es in der richtigen Reihenfolge wiedergegeben zu haben), die nur stellenweise von kurzen tänzerischen Sequenzen unterbrochen werden. Gerade diese sind jedoch das Eindrücklichste und Stärkste an diesem seltsamen Abend, dort entfaltet Antje Pfundtner ihre tänzerische Kreativität. Aber es sind eben nur wenige Momente, die von dem recht chaotischen Hin und Her völlig überdeckt werden. Der Abend krankt an einer Überfülle von Bildern und Assoziationen zum Begriff des Anfangs und Beginnens, es sind Chiffren, die der Zuschauer kaum entziffern kann und die eine quälende Ratlosigkeit und Leere hinterlassen, wobei der Tanz insgesamt viel zu kurz kommt. Schade.

 

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