Ein Ensemble zeigt andere Seiten

„Studio Moves“ von der BallettCompagnie Oldenburg

Mit Uraufführungen von Maelenn Le Dorze, Timothée Cuny und Floriado Komino gibt Ballettdirektor Antoine Jully seinen Tänzer*innen auf der Probebühne 1 die Möglichkeit, eigene choreografische Ideen und Ansätze zu entwickeln.

Oldenburg, 02/07/2018

Mit Uraufführungen von Maelenn Le Dorze, Timothée Cuny und Floriado Komino beendet die BallettCompagnie Oldenburg die Spielzeit. Im neuen Format „Studio Moves“ gibt Ballettdirektor Antoine Jully seinen Tänzer*innen auf der Probebühne 1 die Möglichkeit, eigene choreografische Ideen und Ansätze zu entwickeln. Heraus kam ein abwechslungsreicher Tanzabend, der die Tänzer*innen mal von einer ganz anderen Seite zeigt.

Das Programm, das aus drei Choreografien besteht, beginnt mit „Penseur“ von Timothée Cuny. Der aus Frankreich stammende Tänzer zeigt sich, wie auch Le Dorze und Komini, neben der Choreografie, auch für Bühne und Kostüme verantwortlich. Timothée Cuny bietet gleich zu Anfang die größte Überraschung des Abends: Er singt! Zu Beginn seiner Inszenierung tanzt er selbst noch mit; dann singt er als Pierlucien in der eigens für diese Produktion gegründeten dreiköpfigen Band. Seine wechselvolle Stimme klingt zuweilen wie aus anderen Welten und erinnert, zusammen mit Piano und Schlagzeug, manchmal an die isländische Gruppe Sigur Rós, wobei Pierlucien & Band auch sehr rhythmisch und rockig sein kann.

Was zunächst wie ein Popmusik-Video anmutet, entwickelt sich in knapp 40 Minuten zu einem suggestiven Tanztraum. Eleonora Fabrizi, Adi Hanan und Marié Shimada geben ein wunderbar wunderliches Trio ab – eine Mischung aus schwarzen Engeln, alten Hexen und verloren gegangenen Kindern. Tänzerisch wechseln sie, parallel zur Musik, zwischen harten Bewegungen und stillen Bildern, in denen ihre Mimik, verstärkt durch eine irritierende Augenmaskerade, erstaunliche Wirkungen auslöst. Nicol Omezzolli und Herick Moreira, ganz in weiß gekleidet, erscheinen dagegen mit klassischen Tanzbewegungen wie futuristisch-sanfte Lichtgestalten. Doch der Schein, der durch Nebel- und Windmaschine, durch diffuses Licht und durchscheinende Kostüme verstärkt wird, trügt. In dieser traumhaft gehaltenen Choreografie gibt es keine festen Muster. Alles changiert unerwartet wie im Traum. Und so werden auch die weißen Gestalten ganz plötzlich mal ruppig, und das wütende schwarze Trio wechselt von spektakulären Figuren und Sprüngen zu sanft und zart. Am Ende fallen alle zurück in den Schlaf, dem sie anfangs entstiegen sind. Mit beeindruckenden Bildern und betörender Musik erschafft Timothée Cuny, zusammen mit seinem Team, eine gut durchdachte Inszenierung, von der Ausstattung über die eigenen Musikkompositionen bis hin zum Tanz.

Mit „Palm Trees and Cherry Blooms“ gibt es nach der Pause eine Choreografie von Floriado Komino. Mit Marié Shimada und Lester René González Álvarez hat er auch zwei exzellente Tänzerpersönlichkeiten an seiner Seite. „Palm Trees and Cherry Blooms“ handelt von zwei Menschen aus sehr verschiedenen und weit voneinander entfernten Erdteilen, die hier aufeinandertreffen. Diese Ausgangssituation ist für viele Tänzer*innen, wie auch für Marié Shimada und Lester René González Álvarez, eine Alltagssituation. Marié Shimada ist in Japan geboren und aufgewachsen, Lester René González Álvarez in Kuba. Und so treffen auch in Floriado Kominos Choreografie zwei Individuen mit manchmal grundverschiedenen Erfahrungen, Gefühlen und Fragen an das Leben aufeinander. Zu der Musik von Gustavo Santaolalla, Terry Riley und Giacomo Puccini lässt Komino die beiden sich an einer Art Bambus-Wald begegnen, in den sie zuvor bunte Zettel an Äste wie an einen magischen Wunschbaum gehängt haben. Auf vielfältige Weise und immer auf tänzerisch hohem Niveau, entsteht nach und nach ein zunehmend intensiver werdendes Spiel aus Anziehung und Abstoßung, aus Kampf und Einigung, was an das Werden und Wachsen, aber auch an das Scheitern von Liebesbeziehungen erinnert.

Choreografisch ist „Palm Trees and Cherry Blooms“, auch durch die unterschiedlichen Musikeinspielungen, eher episodenhaft und collageartig angelegt und verlässt sich sehr auf die Fähigkeiten seiner hervorragenden Tänzerpersönlichkeiten. Ein genauerer Blick auf dramaturgische Übergänge und Abläufe würde dieser Inszenierung mehr Fluss und noch mehr Esprit geben.

„Paradigme“ von Maelenn Le Dorze rundet den knapp zweistündigen, anregenden Tanzabend mit Eleonora Fabrizi, Adi Hanan, Marjorie Lenain, Gabrune Sablinskaite, Herick Moreira und Gianluca Sermattei ab. Zur Musik vom Quince Contemporary Vocal Ensemble beginnt diese Choreografie, passend zum Choralgesang, zunächst etwas sphärisch distanziert. Die Tänzerinnen zeigen zahlreiche, bekannte Tanz-Formen in unterschiedlichen Bewegungsqualitäten. Zu den ganz anderen Klängen von Conlon Nancarrow stürmen die beiden Tänzer herein, deren Bewegungssprache eher dem Alltag entstammt.

Und schließlich wechselt nach und nach die gesamte Gruppe ihren Ausdruck. Wie munter aufgescheucht wirkt das Ensemble zur Musik von Alfredo Piatti. In einem schnellen Wechsel aus wildem Chaos und der Ordnung eher synchroner Gruppenchoreografien konventioneller Art, kommen zum Ende richtig Schwung und gute Laune auf. Stilistisch erinnert die Arbeit von Maelenn Le Dorze dann an alte Tanzfilme mit Fred Astaire und Ginger Rogers oder an wilde Tanzveranstaltungen mit Boogie und Swing. Und so entlässt uns die TanzCompagnie Oldenburg beschwingt in den Sommer, und wir sind gespannt auf weitere „Studio Moves“ und das kreative Potenzial einer engagierten Truppe.

 

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