„Gaia“ von Liliana Barros.

„Gaia“ von Liliana Barros.

Her mit der Zukunft!

Choreografien von Liliana Barros und Stephan Thoss im neuen Mannheimer Tanzabend

Gemeinschaft als Zukunft, Kritik am etablierten Kunstbetrieb - Mannheims Tanzchef stellt einen abwechslungsreichen Abend zusammen.

Mannheim, 25/05/2019

Viel von Mutter Erde hat Liliana Barros nicht übrig gelassen in ihrer nach der griechischen Muttergöttin „Gaia“ benannten Choreografie. Selbst der schroffe schwarze Felsen, der die Bühne im Schauspielhaus des Nationaltheaters begrenzt, wirkt seltsam kraftlos. In dieser ebenso unwirklichen wie unwirtlichen Szenerie, nur geprägt durch mal magisches, mal bedrohliches Licht, suchen zehn Aliens ihren Weg in die Zukunft. Die portugiesische Choreografin, die für die Ausstattung ihres Stückes selbst verantwortlich zeichnet, eröffnete mit dieser Uraufführung den zweiteiligen Mannheimer Tanzabend „Evolution“.

Zehn Aliens aus der fernen Zukunft – in raffinierte hautenge und Haut vorspielende Ganzkörper-Kostüme mit effektvollem Bodyshaping gehüllt – erkunden neue Bewegungsmuster. Von archaischer Quälerei bis zu futuristischen Posen kommt dabei ein Feuerwerk an originellen Bewegungseinfällen zustande. Vom Bewegungsspielraum jedes/r Einzelnen aus entwickelt sich allmählich die gemeinsame Körpersprache der ganzen Gruppe. Bedrohung von außen – emotional gesteuert durch ein effektives Sounddesign von Martin Mitterstieler – zwingt die Wesen aus der Zukunft in eine rettende Gemeinschaft; wie selbstverständlich empfiehlt sich dabei Ballett-Bewegungsvokabular als gemeinsamer Nenner. In akrobatischen, ästhetisch höchst wirkungsvollen Tableaus endet der originelle, faszinierende Blick in die Zukunft, der Anknüpfungspunkte für Assoziationen in jede Richtung bietet.

Im zweiten Teil ließ Ballettdirektor Stephan Thoss einen vollmundigen Theaterspaß wieder aufleben, den er vor 20 Jahren in Kiel ersonnen hatte. „Bellulus“ rechnet mit dem verstaubten Opernbetrieb ab, verkörpert durch ein überdimensioniertes, aber sichtlich heruntergekommenes Plüschsofa. Hier rekeln sich die repräsentativen Damen und Herren aus dem gängigen Opernrepertoire in ihren leicht verschlissenen Kostümen ebenso ein- wie zwieträchtig. Einig sind sie sich in der Bedeutsamkeit ihrer Zunft, uneinig im persönlichen Ranking. Wenn 'ihre' Musik von Offenbach bis Puccini, Verdi bis Bizet erklingt, stürmen sie die Bühne wie in die Jahre gekommene Zirkuspferde. Sie chargieren, markieren und konkurrieren aufs Schönste – viel Gelegenheit für Stephan Thoss, sozusagen dem Affen Zucker zu geben. Auch in seiner erfolgreichen Version von Ravels „Bolero“ hat er sich dem Ohrwurm mit erfrischender Respektlosigkeit genähert; in der Abrechnung mit dem traditionellen Opernbetrieb, der immer noch Bizets „Carmen“ als statistischen Spitzenreiter ausweist und kaum Neuerungen zulässt, unterstreicht er zudem das ernste Anliegen seines Bühnenspaßes. Die Mannheimer Ballettmeisterin Zulfia Choniiazowa hat hier ihren besonderen Auftritt, wenn sie die Opernmusik von Bernd Alois Zimmermann interpretiert. Kein Wunder, dass sie mit diesen zeitgenössischen Fremdklängen überall auf Ablehnung stößt...

Man könnte diesem Stück natürlich vorwerfen, dass es genau auf jener Welle risikoloser Erfüllung von Seh- und Hörgewohnheiten schwimmt, die es eigentlich anprangern will. Ein unterhaltsames, publikumswirksames Vergnügen ist es trotzdem. Und mit der Einladung von Liliana Barros – in Saarbrücken gut bekannt, ansonsten eher noch ein Insidertipp – hat der Mannheimer Tanzchef einmal mehr sein gutes Händchen und seine absolute Offenheit für die Wahl talentierter KollegInnen aus dem choreografischen Fach bewiesen. Das Mannheimer Publikum sah das genauso: Jubelschreie für „Gaia“, Bravos für die Choreografin.
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