Quadratisch
Fotoblog von Dieter Hartwig
Die erste Premiere der cie.toula limnaios in 2019 eröffnet mit einem Paukenschlag: ein Doppel-Solo von Toula Limnaios und Hironori Sugata, die hier in Personalunion für Konzept, Tanz und Choreografie verantwortlich zeichnen. Das Plakat mit ihren fliegenden Körpern in blau und rot ist ein Hingucker und verweist schlaglichtartig auf ihre enge tanzkünstlerische Partnerschaft. Sie sind beide in den Fünfzigern – die griechische Choreografin und Tänzerin Toula, ausgebildet in Brüssel und Essen, gründet 1996 die cie. toula limnaios und der Japaner Hironori Sugata, der seit dem Jahr 2000 in verschiedenen Kompanien in Europa tanzte und seit 2005 mit einer kurzen Unterbrechung als charismatischer Tänzerdarsteller Mitglied des Ensembles ist. In „shifted realities“ gehört die zweigeteilte HALLE Tanzbühne erstmals ihnen allein, ein Geschenk für beide und die Zuschauenden.
Ihr Doppel-Solo ist eine asymmetrische Synthese zwischen Banalität, Utopie und Dystopie. Das zweigeteilte Raumkonzept ist bestechend: In blau-grünen Leuchtschuhen umrundet Hironori Sugata mit großen festen Schritten ein Gaze-Zimmer, in dem Toula Limnaios, gleichsam als Erinnerung an ihre gemeinsame Compagnie-Geschichte seit „irrsinn“ (2006), unter einem Lampenschirm ein japanisches Gedicht murmelt. Die kleine zarte Frau wird in diesem hohen Raum tanzend zum einsamen Vogel, der mit offenen Haaren bäuchlings zu Fall kommt. Enge. Begrenztheit. Einsamkeit.
Doch der Raum ist an vier Seiten durchlässig. Als sie herauskriecht, erblickt sie einen Goldsalamander auf ihrem Handschuh, der rebellisch über ihren zarten Körper zu gleiten scheint. Ein poetisches Spiel beginnt, bis sie ihn gierig verschlingt, um Energie zu tanken. Im Gaze-Raum beginnt Hironori Sugata hingebungsvoll den Fußboden zu wischen. Sein akrobatischer Dialog mit dem Lappen erhellt die Absurdität des Tuns. Enge. Begrenztheit. Einsamkeit. Parallel dazu singt Toula Limnaios im Außenraum unter Kopfhörern mit anschwellender Stimme ein griechisches Lied der Selbstbefreiung. Alles aber scheint hier folgenlos. Sie posiert belanglos mit Spitzenschuh und Pumps; er schraubt und bohrt im Außenraum. Ein Türrahmen entsteht. In ihn stellt er seine Schuhe. Die Dramaturgie der Schuhe (Kostüme: Antonia Limnaios) ist bemerkenswert. Hironori Sugatas Barfuß-Solo beginnt mit einem Trippeln und stets an den Oberkörper gepressten Armen, ein starker Mensch in sich selbst gefangen.
Ralf R. Ollertz unaufdringlich dumpf schlagender Soundtrack integriert arabischen Gesang, zitiert kaum hörbar Arvo Pärt und Antonio Vivaldi. Wie durch dickes Glas abgeschirmt, bedrängt die Außenwelt der Nachrichtenkanäle die Akteure. Während die Tonspur vom Bienensterben, von Abgasen und Pflanzenschutzmitteln raunt, tanzen beide unisono mit um den Oberkörper geschlungenen Armen, tief gebeugt, mit geballten Fäusten dagegen an. Wie die ungleichen Schuhe einen festen Gang torpedieren, so laufen hier beider Versuche Halt zu finden ins Leere. Sugata taumelt in poppig bunter Unterhose gefangen in sich und den vier Wänden; aus der eigenen Haut kommt er nicht. Oder doch? Denn wie ein Superathlet setzt er mit großen Beinschwüngen seine „Zauberschuhe“, zum pochenden Rhythmus glimmt sein blauer Fußabdruck auf. Das dystopische Finale spiegelt die Anfangsszene: er verlischt im Innenraum, während sie barfuß als ein junges Mädchen mit Pferdeschwanz ihre Bahnen gegen die Uhr rennt und rennt - ohne Leuchtspuren zu hinterlassen. Dunkelheit.
Die fünfzigminütige Szenenfolge wendet Außen- und Innenräume, erhellt die Spannung von Privatheit und Welt im faszinierenden Agieren der beiden hochkonzentrierten Interpreten. Sie tanzen jeweils in ihrem eigenen Raum ohne sich zu berühren, einmal parallel nebeneinander, asynchron, doch in den Überschreibungen und Überschneidungen stets aufeinander bezogen. Toula Limnaios und Hironori Sugata kreieren ein leises Tanzstück hoher Intensität, dessen oftmals winzige körper-sprachliche Details einprägsam nachhallen. Immer schwingt bei diesen auratischen Performern mehr mit als das, was wir im Augenblick sehen. Sie sind Driftende im Zeitalter einer erschöpften Gesellschaft, die sich dennoch abmühen. Sie suchen in der Fremdheit den eigenen Körperausdruck. Der Raum gehört ganz ihnen. Aus der Draufsicht können wir ihn in Gemeinsamkeiten und Unterschieden mit ihnen erkunden.
4. - 6. April 2019, 20.30 Uhr
HALLE Tanzbühne Eberswalder Str. 10. Tickets 44044292
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