„Re-Recreator“ vom Tanztheater des Staatstheaters Kassel

„Re-Recreator“ vom Tanztheater des Staatstheaters Kassel

Rückblickend

Das TanzArt ostwest Festival 2019

Das Festival in Gießen war von atemberaubender Vielfalt. Gut 150 TänzerInnen und ChoreografInnen kamen innerhalb von zehn Tagen in die Lahn-Stadt. Vorstellungen fanden an insgesamt sechs verschiedenen Orten statt.

Gießen, 11/06/2019

Rückblickend auf 17 Jahre TanzArt ostwest in Gießen lässt sich konstatieren, dass die freien Gruppen professioneller und die Theaterensembles ideenreicher geworden sind. Beide haben offensichtlich voneinander profitiert, auch tragen diverse Leitungswechsel an den Theatern zum frischen Wind bei.

Die site-specific-Performances stießen auf große Resonanz, fanden sie doch an außergewöhnlichen Orten statt. Im Hangar des Johanniter-Luftrettungszentrums berauschten die Aussicht und die Choreografie von Lucyna Zwolinska. In der Tiefgarage des Rathauses ging es experimentell zu, mit vier Gruppenstücken der Hessischen Theaterakademie Frankfurt. Im Innenhof des Alten Schlosses bot Mechtild Hobl-Friedrich Lyrik von Frauen, zu Musik von Frauen, sensibel umtanzt von TCG-Mitglied Adriana Dornio. Zum vierten Mal war das Uniklinikum Gießen Kooperationspartner, vermittelt durch die Kunstbeauftragte Dr. Susanne Ließegang. Hier zeigten der erfahrene Tänzer, Choreograf und Trainingsleiter Paolo Fossa mit der Schauspielerin Esra Schreier vom Stadttheater Gießen einen intensiv berührenden Tanzparcours.

Der Bühnentanz auf der taT-Studiobühne war von Freitag bis Sonntag mit zahlreichen Gruppen aus der freien Szene und von Ausbildungszentren gefüllt. Dazu kamen die Produktionen der Tanzcompagnie Gießen (TCG): „Metropolis“ von Tarek Assam und die „Carmen“-Premiere von Ivan Strelkin. Am Sonntag fand die große Tanz-Gala vor ausverkauftem Haus statt.

Die weiteste Reise hatten wieder die Austauschpartner der Tanzcompagnie Gießen (TCG) aus Shenzhen in Südchina gemacht. Kleine, dynamische Soli zeigte Tanzprofessor Chen Jun, eines begleitet vom Flötisten Li Fanmo. Drei Tanzhochschulen waren mit quirligen Gruppenproduktionen dabei: Die Dance Academy Ljubljana (Slovenien), das Bohemia Ballet Prag (Tschechien) und die Zürcher Hochschule, mit der die TCG ebenfalls in Austausch steht.

Mit Naturverbundenheit und exotischem Touch beeindruckte die in den Niederlanden lebende, aus Neuseeland stammende Isabelle Nelson. Sie verwendete Elemente eines rituellen Maori-Tanzes. Bei der fünfköpfigen Revolution Dance Company (Italien) kam zum Weltmix-Sound noch Kritik an unserer Konsumgesellschaft dazu. Auch das Duett der Compañia Otra Danza (Spanien) widmete sich dem ewigen Kreislauf der Natur.

Das außergewöhnlichste Pas-de-Deux kam aus Italien. „Melankoli“ von der Choreografin Barbara Gatto nutzte den extremen Größenunterschied des Paares, das anschmiegsam und zugleich filigran tanzte. Irene Kalbusch aus Eupen (Belgien) brachte diesmal ein Stück aus einer Trilogie mit, die sich mit der industriellen Vergangenheit der Region befasst. Der live auftretende Sänger Guillermo Horta betörte mit Kopfstimme und körperlich-mimischer Präsenz. Magisch auf andere Art war auch das Solo „Pagliacci“, das Tiago Manquinho mit der Tänzerin Cecilia Castellari als traurigem Clown einstudierte. Auch das elegische Solo, das Paul Julius mit Sayaka Hirano erarbeitet hat, war von besonderer Qualität.

Die Gala brachte eine gute Mischung aus Neoklassik und Contemporary, die Beiträge reichten von Soli bis zu diversen Gruppengrößen, von tiefschürfend-ernst bis zu heiter-leicht. Aus Chemnitz waren sie gleich zu acht gekommen und zeigten mit „Unleash“ ein eindringliches Vier-Paare-Stück (Katarzyna Kozielska) zum Kampf zwischen Abhängigkeit und Freiheitsstreben des Individuums. Die männliche Vierergruppe aus Koblenz erfreute mit einer witzig vertanzten Bachkomposition (Steffen Fuchs). Aus Kassel kam wieder der ungewöhnlichste Beitrag (Johannes Wieland): die Körper der Vier führten ein nicht kontrollierbares Eigenleben, angetrieben von lautem E-Gitarren-Sound.

Ebenfalls weite Anreisen hatten das Duo von der Oper Breslau, das ein sinnliches Duett zu Chopin tanzte (Anna Hop) und das Trio aus Bordeaux, das Schwermütiges zur Grenze zwischen Tod und Leben zeigte (Pascal Touzeau). Während ein Duett so natürlich wie der Alltag daherkam (Hans Henning Paar, Münster), war ein anderes voll stilisierter Aggressivität (Guido Markowitz, Pforzheim).

Die Solisten des Abends waren auch Kreateure ihrer Stücke: Joshua Haines (Braunschweig) wurde im wurmähnlichen Ganzkörperanzug von Stimmgeräuschen bewegt und Nina Plantefeve-Castryck (Belgien), aktuelle Preisträgerin des Internationalen SoloTanz-Theater Festivals Stuttgart, schien von Licht-und Soundwechseln hin- und hergerissen zu werden; stellvertretend für innere Kämpfe. Die Tanzcompagnie Gießen zeigte aus Metropolis die Zukunftsvision vergeistigter Körper und eine Dreier-Szene (Laura Avila, Michael d'Ambrosio, Sven Krautwurst), die ohne das Bühnenbild die Kunstfertigkeit der Bewegungen voll zur Geltung kommen ließ. Weitere Gäste kamen aus Bern, Dresden und Trier.

Damit ist der Austauschreigen der TanzArt ostwest eröffnet, noch in dieser Woche geht es weiter in Eupen und Koblenz. Und 2020 wird es wieder ein Europe-China-Festival in Shenzhen geben, künstlerischer Leiter ist Tarek Assam.
 

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