„Wunderland - wie nächtliche Schatten“ von Dan Pelleg und Marko E. Weigert

„Wunderland - wie nächtliche Schatten“ von Dan Pelleg und Marko E. Weigert

Verrückt bleiben hilft

Das neue Tanzstück „Wunderland - wie nächtliche Schatten“ in Görlitz ist gelungen

Nichts wie auf, ins „Wunderland“ am Gerhart-Hauptmann-Theater - doch nein, dies ist nicht die Geschichte von Alice, auch wenn man Motive erkennen kann. Dan Pelleg und Marko E. Weigert begeben sich mit ihren TänzerInnen auf eigene Lebensreisen.

Görlitz, 12/02/2019

Nein, dies ist nicht die Geschichte von Alice im Wunderland, auch wenn man Motive dieser berühmten Vorlage von Lewis Carroll erkennen kann. Sie gab ja bereits genug Stoff für Produktionen des Tanztheaters oder des Balletts, man denke nur an Christopher Wheeldons Kreation für das Royal Ballet in London, die nun auch beim Bayerischen Staatsballett in München zu erleben ist.

In Görlitz entdecken die elf Tänzerinnen und Tänzer dieses neuen Tanzstückes von Dan Pelleg und Marko E. Weigert ihre eigenen Wunderländer und begeben sich auf die Reisen ihrer Fantasien. Nicht zuletzt beziehen sich diese auch auf ihre eigenen Lebensreisen, die sie aus insgesamt sieben Nationen unterschiedlicher Kontinente nach Görlitz geführt haben. Dass dabei nicht immer die hellen Farben der Fantasien leuchten, versteht sich, so hat der Titel „Wunderland“ auch einen Zusatz: „ - wie nächtliche Schatten“.

Dafür hat Britta Bremer den Raum der von ihr entworfenen Bühne ganz weit vor gezogen, über den Orchestergraben, bis an die erste Reihe des Parketts. Im Verlauf der knapp eineinhalb wunderbaren Stunden wird sich dieser Raum zu einem Tunnel erweitern, bis in die Tiefe der Hinterbühne. Und wie in Wunderländern nicht gerade verwunderlich, man weiß nicht, ob dann der Tunnel wirklich schon zu Ende ist. Ein Licht gibt es jedenfalls nicht am Ende des Tunnels, der mit seiner weißen Verkachelung doch eher an den eingrenzenden Raum einer Klinik erinnert, in der Menschen ausgegrenzt werden, weil ihre Lebensarten nicht mit denen in Übereinstimmung zu bringen sind, mit denen außerhalb solcher Räume, in der sogenannten freien Welt.

Zunächst sitzt da ein zierlicher Junge in der Ecke, nahe an den Zuschauern. An seinem Kostüm entdeckt man riesige Hände, die ihn einschnüren und einschränken, wogegen er vergeblich mit zuckenden Bewegungen versucht anzukämpfen. Es ist, als wollten wunderbare Fantasien diesen eingeschränkten Körper sprengen, als tobe in diesem jungen Mann ein Kampf, wovon die schmerzhaft wirkenden Zuckungen zeugen. Aber er wird den Weg finden, in sein Wunderland, er wird die einengende Kleidung ablegen, seine eigene finden - na ja, ein bisschen wirkt er wie ein altmodischer Schüler, aber in dieser Gemeinschaft der Wunderlichen fällt er dann nicht auf und der Tanz öffnet ihm neue Horizonte.

Das ist nur eines von vielen Beispielen, wie in „Wunderland“ die Tänzerinnen und Tänzer größtenteils aus der dunklen Tiefe des Grabens sich herauswagen und die Tür finden, die in jenen Tunnel führt, um dann darin ihre Bewegungen, ihre Töne, ihre Lebens- und Liebesformen zu finden. Mag ja sein, dass sich die beiden stattlichen Tänzer in ihren knappen Blütenhöschen sauwohl fühlen, wenn sie wie brave Hündchen von ihrer Herrin geführt werden. Wenn sie jedoch merken, dass sie nicht die einzigen Blütenboys und Blumengirls sind, entdecken sie für sich auch den aufrechten Gang und den befreienden Tanz. Und der entwickelt sich bei anderen im variantenreichen Feld des Street Dance oder aus Elementen der Erinnerung an die Klänge der Folklore in Bewegung.

Und schon erlangt dieses Wunderland im Theater in Görlitz eigentlich weltweite Dimensionen. Da werden die Dimensionen der Wahrnehmung auf sich selbst und auf die anderen verrückt, und dann sind sie alle ein bisschen verrückt und wirken doch so ganz normal. Sei es, dass in manchen Variationen des Tanzes die Aufbrüche der Flower-Power-Bewegung beschworen werden, dass ein Tänzer mit aller Anstrengung versucht, aus seiner Haut zu kommen und dann doch ganz glücklich ist mit seiner Partnerin, weil darin Platz genug für beide ist. Und dann wundert es auch niemand mehr, wenn diese Görlitzer Wunder-Tänzerinnen und -Tänzer einfach mal durch die Wände des Tunnels verschwinden können, dass es so einen richtigen Typ Zaubermeister gibt, mit hohem Hut und der Fähigkeit, an der Wand zu gehen, und das nicht mal, weil er immer, von wem auch immer, an einer langen Leine gehalten wird.

Ein übergroßes Tier-Mensch-Tierwesen kann sich in den Tunneldimensionen nur gebeugt bewegen, aber es hat Platz mit anderen wunderlichen Riesenwesen, ganz am Ende des Tunnels, am Tischlein, auf den Kinderstühlchen - so eine wunderbare Idylle der Fantasie bleibt im Kopf. Schon möchte man auch so mutig sein und sich in diesen Tunnel begeben. Zudem locken so verführerische Klänge durch die Auswahl der ganz unterschiedlichen Musik. Geht ja nicht aus dem Kopf: „My love is like a red, red rose“ mit The King's Singers, noch dazu wenn ein so bewegend sensibles Duett getanzt wird. Auch im zeitgenössischen Tanz hebt man ab, da lassen die Tänzer einander schweben, in schönen Sprüngen als Momente der Freiheit.

Aber in diesem Wunderland gibt es auch immer wieder freie, performative Momente. Dann bringen sich die Tänzerinnen und Tänzer sehr persönlich ein, dennoch geführt und geleitet von Dan Pelleg und Marko E. Weigert, deren Konzept sich in der choreografischen Zusammenarbeit mit der ganzen Tanzkompanie bewährt. Als sie am Ende alle angekommen sind bei sich und auch die Kostüme so gut wie abgelegt haben, dann öffnet sich das wahre Wunderland, denn frei nach Joachim Ringelnatz ist überall Wunderland, sei es im Strumpfband der Tante oder irgendwo daneben. Wer nämlich, wie diese Tänzerinnen und Tänzer, den Mut hatte, sich in diesen Tunnel der Erkenntnis zu begeben, wird mitunter, je weiter er oder sie neben sich stehen, doch immer auf dem Weg ganz zu sich selbst sein. Das ist möglich, auf jeden Fall im Theater, vor allem im Tanz. Also, auf nach Görlitz. Verrückt bleiben hilft, auf jeden Fall im Tanz-Theater-Wunderland.

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