Vorwärts!
Die neue FORWARD DANCE COMPANY am Lofft in Leipzig
Die neue präsentiert sich mit gleich zwei Premieren am Leipziger Lofft.
Wir – eine getanzte Visitenkarte
„Wir“ ist eine Vorstellung der Gruppe, der einzelnen Tänzer*innen und ihrer besonderen Qualitäten und Fähigkeiten. Die Gruppe verordnet sich zwar klar im zeitgenössischen Tanz, auch die rauschend-rumpelnde Soundkulisse von Mathie Porterie unterstützt das, aber dann springt auf einmal Mouafak Aldoabi in großen Ballettsprüngen über die weiße Bühne und setzt sogleich einen Kontrapunkt zu den Erwartungen. Das Schema bis dahin ist Stille Post: Eine Person tanzt vor und dann kommt eine zweite hinzu, die diese Bewegungen spiegelt und variiert. Pas de Deux, aber parallel, gemeinsam nicht miteinander – was auch an den coronabedingten Regeln der Probenphase liegen könnte.
Dieses Setting lässt das Besondere dieses Ensembles vollständig zum Tragen kommen. Denn die Forward Dance Company ist mixed-abled. Menschen mit nicht-normativen Körperlichkeiten, weil sie etwa im Alltag auf einen Rollstuhl angewiesen sind, finden genauso ihren Platz wie klassisch ausgebildete Tänzer*innen. Mit Lisa Zocher aus Leipzig und Iñigo Laudio aus Barcelona hat der Künstlerische Leiter Fjialkow zwei spannende Performer*innen gefunden, die den Anspruch auf Professionalität hervorragend erfüllen. Beide sitzen und tanzen im Rollstuhl, allerdings bietet ihnen diese Art des Tanzes die Möglichkeit, ihn auch zu verlassen und mit dem eigenen Körper neue Bewegungsmuster zu setzen. Alle sechs machen diese Auseinandersetzung in ihren parallelen Aktionen zu einem bewegenden Schauspiel.
Im zweiten Teil von „Wir“ wird es düsterer und wilder: Renan Manhães kommt als eine Art Jimi Hendrix mit Gitarre auf die Bühne und lädt zur Geburtstagsparty in Grau, bei der freudig fliegende Kamellen zu aggressiven Wurfgeschossen werden. Dazu hält Simone Carmago einen Monolog über das, was geht, und das, was nicht geht. Grau und Glitzer wechseln sich in den Kostümen von Darwin Stapel ab, der ansonsten auf luftige, brasilianisch inspirierte Kleidung setzt. Am Ende steht Cordelia Lange alleine am Mikrofon, während die anderen ihre angesammelte Wut in Form von allerlei Unrat auf der Bühne entsorgen, und haucht ein: „Ich kann alle Probleme der Welt lösen.“ Währenddessen zieht sie sich einen grünen Slip aus und lässt ihn zwischen den gespitzten Fingern baumeln.
Joy – Fun ist ein Stahlbad
Auf solch hohem energetischen Niveau startet auch die zweite Produktion „Joy“ durch. Alle Tänzer*innen sind in merkwürdige bunte, enganliegende Blumenbouquets gesteckt (Kostüme: Moran Sanderovich), doch die Suche nach Freude erweist sich als kompliziert. Zum Einlass wummern die Musiker Daniel Benyamin und Zar Monta Cola irgendetwas zwischen Metal und Elektro aus ihren Instrumenten. Als Leitmotiv wirkt Adornos Bonmots „Fun ist ein Stahlbad“. Da erinnert sich Simone Carmango an ihre Leiden im klassischen Ballett, wenn sie mit Spitzenschuhen und blutigen Gesicht auftritt. Cordelia Lange trampelt derweil auf Renan Manhães als Domina. Auch die Stand-Up-Comedy von Lisa Zocher scheitert wie geplant („Was ist keine Karriere für einen Rollstuhlfahrer? Stand-Up-Comedian!“). Dabei werden die Rollstühle anfangs nur spärlich eingesetzt.
Doch hier und da bricht in diesem gewaltvollen Trübsal ein positives Moment hervor, wenn etwa Laudio seine Kumpanen auffordert, er möchte fliegen und dann über die Bühne getragen werden. So erzeugt sich Lust meist nur aus Schmerz. Weinen ist das neue Sexy, was in einer fulminanten und im produktiven Sinne verstörenden Szene von gespielten Tränen und vorgeblich sexy Arschklatschen endet. Die Tänzer*innen spielen hier mit vollem Einsatz und gewinnen.
Ein starker Start der mixed-abled Company, die bereits jetzt associate artist des Festivals Euro-Scene ist, die im November in Leipzig stattfinden wird.
www.lofft.de
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