Gestohlene Schritte
Sebastian Weber zeigt mit „The Long Run“ als Premiere im Lofft Leipzig einen veritablen Steptanz-Essay
Discobeats wummern durch den Raum, Nebel quillt in den Zuschauerraum und das Licht flackert bunt über die Szenerie. Bei „Glitz“ im Leipziger Lofft ist schon zum Einlass Party. Die sieben Tänzer*innen stecken in glänzenden clubreifen Kostümen und werden durch eine fünfköpfige Band unter der Leitung von Steffen Greisinger unterstützt, die langsam die Dance-Musik aufnimmt und ablöst in krachenden Rock, zu dem die Tanzenden entsprechende ikonische Posen üben.
Bis dahin sind noch keine der charakteristischen Stepmoves samt den ebenso beruhigend wie antreibenden Tapgeräuschen zu hören. Tatsächlich sind nur vier der sieben Steptanzende, drei kommen aus dem Bereich des zeitgenössischen Tanzes, der schon in der Dresdner Produktion „100 Leidenschaften“ breiteren Raum eingenommen hat. Auch steht Weber dieses Mal nicht erneut selbst auf der Bühne, wobei hier ohnehin einige Kräfte aus der Stammbesetzung fehlen. Der Energie tut das alles keinen Abbruch.
Tap und Zeitgenössisches mischen sich
Auch wenn die erstmal runter geht nach dem fulminanten Start. Nach der Party kommt der Alltag und der hat hier die Form von ein paar ausgeklügelten Step-Nummern. Eine Tänzerin beginnt mit ein paar Schrittfolgen, ein anderer Tänzer kommt hinzu und aus der Stille entwickelt sich etwas neues, eine andere Energie als zu Beginn, mehr im Flow, weniger ekstatisch. Dabei hat es sogar einzelne Momente der Ruhe mit Wellen von Tänzer*innen, die mal auf mal ab wiegen. Hier ein kleines Solo, da eine kleine Gruppe oder auch mal alle zusammen.
An diesem Punkt „mischen“ sich jetzt Tap und Zeitgenössisches. Harte Schuhtritte und Barfuß-Bewegungen suchen das gemeinsame Spiel, tauschen die Qualitäten untereinander aus und simulieren sich gegenseitig. Weber reißt die Grenzen zwischen Stilen nieder, sucht für den Reste nur noch Bewegung und Ausdruck, sucht nach der Energie in all dem, was geht mit dieser formidablen Crew. Wenn die Musik wieder einsetzt, ist sie jazziger. Ein ruhiges Präludium, bevor dann wieder handgemachte Beats einsetzen.
Doch erstmal braucht es Glitz. Ein großer Garderobenwagen, bestückt mit allerlei glitzernden Pling-Pling-Klamotten wird auf die Bühne geholt und geplündert. Minutenlang ziehen die sieben Tänzer*innen sich um, tauschen sich durch Fransenärmel, Glitzerröcke und Tüll-Umhänge. Die große Party, sie fällt nicht vom Himmel, sondern bedarf großer Vorbereitung und Präsentation in einer ironische Modenschau.
Der Glitz schlägt ein.
Das große Finale ist dann im Grunde eine Wiederholung des Starts nur diesmal mit noch mehr Willen zum Ausdruck, noch mehr Power und vor allem absolut schrillen Kostümierungen. Die Tanzenden flitzen über die Bühne, rocken in der großen Gruppe ab. Schuhe klappern, Arme fliegen und die E-Gitarre schraubt das Spiel in die Höhe. Am Ende dann wieder die Rockposen, diesmal in Unterwäsche und nicht verschämt hinter der Band auf einem Bühnepodest wie zum Start, sondern Angesicht zu Angesicht mit dem Publikum. Der Glitz schlägt ein.
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