Tanz, Cowboys, Leben und Tod
Die Verleihung des Sächsischen Tanzpreises im LOFFT Leipzig
Sebastian Weber zeigt mit „The Long Run“ als Premiere im Lofft Leipzig einen veritablen Steptanz-Essay
Die Trippelschritte hallen durch den Raum wie ein rollierendes Klackern. Unaufhörlich, bis sich auf einmal etwas anderes einschleicht und dieser schlacksige Typ in Trainingshose und Funktionsoberteil auf der Bühne auch nicht mehr auf der Stelle steppt, sondern jetzt die ganze Bühne in Beschlag nimmt. Vorher hat er den Raum von den wie zu einem Parcours aufgestellten Holzquadern freigeräumt und sie zu einem großen Podest hinten rechts zusammengeschoben (Bühne: Michael Hensel). Dass Sebastian Weber, der hier tanzt und sich auch für die Choreographie verantwortlich zeichnet, genau diese Maschinengewehrschrittfolge ausgewählt hat, ist natürlich kein Zufall. Zuvor hat er wie in einem Stand-Up von seiner Zeit in New York erzählt, wie er mit Chuck Green, Buster Brown, Gregory Hines und Steve Condos, von dem die genannten Trippelschritte stammen. Weber hat sie „geklaut“ und sich damit in die Tradition des „stealing steps stealing“ eingereiht, bei denen Schritterfindungen in das eigene Sortiment übernommen werden, aber nicht als Kopie sondern eine Art Anverwandlung.
Das alles erzählt Weber in „The Long Run“, das am Leipziger Lofft seine Premiere feierte, zwischen längeren Tanzeinlagen, die eben genau diese Praktiken illustrieren. Zugleich übersetzt Weber emotionale Zustände in Stepbewegungen, was zur Premiere sogar Szenenapplaus einheimst. Angesichts so viel sprachlichen Inhalts, den Weber konsequent auf englisch mit deutschen Übertiteln rüberbringt, kann man diesen Abend als tänzerisches Essay festhalten. Denn Weber reicht es natürlich nicht anekdotisch und biographisch Wissenswerten über die Geschichte des Steptanzes zu verbreiten, sondern zugleich dockt er an Diskurse wie kulturelle Aneignung, Weißes Privileg und natürlich den darunter liegenden Rassismus an. Die Kernfrage, die ihn beschäftigt, ist, ob er eigentlich das tun darf, was er hier gerade tut oder auch schon getan hat. Denn er ist als Weißer in eine Schwarze Steptanz-Community migriert, wo er freundlich aufgenommen worden, getreu dem Motto „Dancer don’t see color“, wie er einen seinen Mentoren zitiert. Aber berechtigt ihn das, nun deren Geschichten für seinen Tanzabend zu gebrauchen? Ist das legitim oder böse illegitime Aneignung? Die Tatsache, dass er dies öffentlich verhandelt, trägt natürlich die Antwort schon in sich, aber wie er es in Parallelität zu dem Konzept des „stealings steps“ verhandelt, das ist dann schon einigermaßen brillant und behält bis zum Ende eine ungeheure Leichtigkeit.
„The long run“ erschöpft sich denn auch nicht in der Lecture Performance, sondern bleibt trotz aller Inhaltsebenen ein Tanzstück, in dem Weber seine ganz persönlichen Visionen von zeitgenössischem Steptanz präsentiert. Ob schnell, ob langsam, ob mit Zuhilfenahme von Schnipsen und Body Percussion, Weber zeigt, was er kann. Mit beeindruckenden Klackern und fußwerklich sehr gewandt gleitet er über die Bühne. Zugleich baut er mit den Holzelementen immer neue Szenarien. Einmal steht er auf einem großen Turm, um dort eine fiktive Email von Chuck Green und Buster Brown zu halten, so dass er von diesem höchsten Punkt in die tiefste emotionale Dunkelheit abgleitet, später baut er eine Reihe von Sockeln, auf denen man sich die Großen (alle genannten Tap-Vorbilder sind ja bereits tot) als Denkmäler denken kann.
So erschafft Weber mit diesem Solo einen veritablen getanzten Essay, der inhaltlich mehr als nur anregend ist und zudem die große Kunstfertigkeit der Sebastian Weber Dance Company, deren Mitglieder an der Produktion beteiligt waren, einmal mehr unter Beweis stellt. Ein spannender Abend und eine gelungene tänzerische Annäherung an einige der großen Themen unserer Zeit. Denn es geht nicht nur um „stealing steps“ sondern vielleicht auch „healing steps“ und das macht solche Kunstwerke so wichtig.
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