„Shortcuts to Familiar Places“ von James Batchelor & Collaborators.

Ausdruckstanz reconstructed

„Shortcuts to familiar places“ von James Batchelor & Collaborators feiert in den Sophiensaelen Premiere

James Batchelor erforscht in seiner neuen Arbeit die australische Geschichte des modernen Tanzes. Auf den Spuren von Ruth Osborne und Gertrud Bodenwieser spiegelt er den freien Geist der Ausdruckstanz-Ära wider.

Berlin, 20/10/2022

Es ist berührend der 107-jährigen Eileen Kramer, australische Tänzerin und Choreografin und in den 1940er Jahren Mitglied der Kompanie von Gertrud Bodenwieser, zuzusehen, wie sie auf einem geblümten Sofa sitzend Teile der Choreografie „The Waterlillies“ wiedergibt. Ihre Augen sind geschlossen, sie summt und zählt den Takt, bewegt ihre Hände und Arme vorsichtig, so weit es noch geht, ist ganz bei sich und im Tanz. Dass sie gefilmt wird und die Choreografie an James Batchelor und Sue Healey hinter der Kamera vermitteln soll, scheint sie vergessen zu haben.

Eben diese Choreografie wird von Batchelor und Chloe Chignell danach live in einem Duett rekonstruiert. Hintereinander sitzen sie auf dem Boden, nur die Arme bewegen sich langsam und synchron wie Flügel. Fast wirken sie wie ein einziges Wesen. Sie richten sich immer weiter auf und ihre Bewegungen werden dabei größer und ausladender, aber nicht weniger sinnlich und entschleunigt. Weiterhin am Boden malen ihre Körper Kreise, Spiralen, Wellen und Achterfiguren, sehr sanft und fließend, immer in Harmonie miteinander und der Musik (Morgan Hickinbotham). Formal ist das schön anzusehen, inhaltlich mit der Zeit aber leider etwas langweilig. Als reine Rekonstruktion und Recherche von Ästhetik und Bewegungsrepertoire des Ausdruckstanzes wirkt all das beinahe altmodisch.

Das Duett ist der Mittelteil des dreiteiligen Abends „Shortcuts to familiar places“ des australischen Tänzers und Choreografen James Batchelor. Jeder Abschnitt ist gleich aufgebaut: Film, dann Tanz. Es beginnt mit einem Video von Ruth Osborne, ehemalige Tanzlehrerin von Batchelor und Chignell, projiziert auf eine weiße Leinwand im hinteren Teil des Bühnenraums, in dem sie die Schlüsselelemente eines Bodenwieser-Kurses vorführt und erklärt. Bodenwieser gilt als Pionierin des Modernen Tanzes und Visionärin für Tanzpädagogik und Choreografie. Sie flüchtete während des Zweiten Weltkriegs von Österreich nach Australien und inspirierte Generationen von Choreograf*innen und Tänzer*innen. Auf das Video von Osborne folgt ein Solo von Batchelor. Seine durch den Lichteinfall schwarze Silhouette vor der Leinwand ist ein schönes minimalistisches Bild. Vorsichtig erforscht er jede Bewegung und leitet seinen Körper sanft hindurch. Zyklische Wiederholungen und Armbewegungen dominieren diesen Teil, ganz sinnlich und entschleunigt. Die Verbindung zwischen dem vorher filmisch Gezeigten und nun Getanzten ist eindeutig, die Lehrerin - Schüler Beziehung wirkt beinahe intim.

So reiht sich Tanz an Videoinstallation und das Gefilmte wird live neu konstruiert. Ein roter Faden ist durchaus da, nur die ein oder andere Steigerung und Überraschung fehlt. Demnach funktioniert auch der dritte Teil der Performance. Eine Videocollage zeigt Ruth Osborne uns Batchelor tanzend im Bodenwieser-Stil, unter- und überlegt mit weiteren Videomaterial anderer Choreografien, die ein wenig wüst und altmodisch-pixelig ineinander übergehen. Es folgt wieder ein Duett, dieses Mal bewegungsintensiver und den gesamten Bühnenraum einnehmend. Die zwei Tänzer*innen bewegen sich in Achterbahnen und Kreisen, die Arme zirkeln in großen Bögen um ihre Körper und die Musik wird zum ersten Mal lauter und dröhnender. Man erwartet hier den großen Bruch, endlich eine Weiterführung des Materials ins Zeitgenössische, aber zu früh erlischt das Licht, die Musik verstummt und vorsichtig folgt der Applaus.

Genau diese fehlende Steigerung bzw. eine Richtung, in die die Choreografie leiten könnte, ist am Ende die Schwäche der Inszenierung. Wohin führt sie? Was macht man nun mit dem gesehen Material? Sie bleibt reine Rekonstruktion, es fehlt die Dekonstruktion. Ohne den historischen Kontext schaut man als Zuschauer*in bloß etwas ästhetisch sehr Schönes. Viel mehr hat es den Anschein, als wäre die Arbeit nicht das Endprodukt eines Rechercheprozesses, sondern eine Bestandsaufnahme, die noch weitergedacht und -entwickelt werden kann. Wer weiß, vielleicht kommt noch etwas...
 

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