„Intricati Movimenti“ von Iratxe Ansa und Igor Bacovich. Tanz: Ensemble.

„Intricati Movimenti“ von Iratxe Ansa und Igor Bacovich. Tanz: Ensemble.

Der/die/das Einzelne und das Kollektiv

Der Tanzabend „Tanz.Fabrik 9“ feiert Premiere - und ist gleichzeitig ein Abschied

Mit fünf Uraufführungen an einem Tanzabend verabschieden sich das Regensburger Ensemble Tanz und seine Leitung im Antoniushaus vom begeisterten Publikum.

Regensburg, 24/06/2022

Es war Neustart an neuem Ort und Abschied in Einem. Nach der zweijährigen Zwangspause war die Tanz Company des Theaters Regensburg bei der Premiere von Tanz.Fabrik 9 erstmals auf der Bühne im Antoniushaus zu erleben. Und es war ein so eindrückliches, wie eindringliches Erlebnis. Gleichzeitig war es eine der letzten Vorstellungen der Company. Am Ende der Spielzeit löst sie sich auf.

Ob das Format der Tanz.Fabrik als Experimentier- und Ausprobierraum für Tänzer*innen, die eigene Choreografien entwickeln und vorstellen, und junge Gastchoreograf*innen bestehen bleiben kann, ist ungewiss. In der neunten Auflage erlebte das hellauf begeisterte Publikum die Uraufführung von fünf Tanzstücken, darunter nach der Pause das mit einem spirituellen Anspruch aufgeladene Stück „Intricati Movimenti“ von Iratxe Ansa und Igor Bacovich. Die baskische Choreografin und der Tänzer arbeiten seit neun Jahren zusammen und haben erstmals eine Choreografie für eine Company in Deutschland geschaffen.

Zur drängenden, manchmal fast gehetzt klingenden Musik von Bryce Dessner, gespielt vom Kronos Quartet, lösen sich aus in- und auseinander fließenden Körperfiguren einzelne Tänzer. In hinreißenden Solos, Duetten und Trios spiegeln sie das kollektive System, dem sie selbst als Teil eines übergeordneten Ganzen angehören und verleihen ihm einen erweiterten Sinn. Gehen vom tanzenden Kollektiv naturhaft inspirierte Impulse aus, die den Mensch auf seine kreatürlichen Instinkte zurückverweisen, buhlen die herausgetretenen Tänzer*innen umeinander, verbinden, stützen und dominieren sich in präzisen Bewegungen und raumfüllender Dynamik.

Eine enorme Dynamik entwickelt auch die emotional packende Choreografie von Louisa Poletti „The Price of those Sunflowers“. Damit spielt sie auf die fragile Balance zwischen Inspiration, Begeisterung und Kritik für Künstlerinnen an. Zum a capella gesungenen Folkklassiker „Scarborough Fair“ betreten die farblich in drei Gruppen gekleideten Tänzer*innen im schwerfällig stampfenden Rhythmus die Bühne. Van Goghs Sonnenblumen liefern Farbkonzept und amüsantes, wie betroffen machendes Requisit mit dem die Tanzenden in hohen Sprüngen spielen. Wenn die letzte, verbliebene Tänzerin zum traurigen Blues „No more…“ in die Röhre – die leere, von innen beleuchtete Vase – blickt, bleibt ihr nichts, als diese auf die Bühne zu pfeffern.

Fast ins Gegenteil, in den Stillstand, schwenkt das Ensemble in Filippo Buonamassas skurril-reflexivem Stück „I genuinely thought I was smiling“. Buonamassa ließ sich dafür vom schweizerischen Philosophen Henri-Frédéric Amiel anregen. Untermalt von kurzen, zappeligen Solos, bewegen sich die Tanzenden im raubtierhaften Zeitlupentempo oder prozessionsartig über die Bühne oder gruppieren sich um zwei Figurenpuppen. Sie sind gleichermaßen Akteur*innen und Zuschauer*innen ihres eigenen Lebens, das nur noch aus Beobachtung und Stagnation besteht – bis die lebensgroße Puppe mit lautem Knall umfällt.

Drei Männer, sechs teils von unten beleuchtete Bänke und flackerndes Licht. In türkisfarbenen, transparenten Oberteilen rutschen Alessio Burani und Lucas Roque Machado in ihrer eigenen beeindruckenden Choreografie „This continues…“ zusammen mit David Nigro Schrägen hinunter, halten sich, fangen sich auf. Ein artistisches und zugleich intensives Spiel, bei dem die Tänzer starke Gefühlswellen aussenden und in einer konkurrenzlosen Menage a Trois ums Anfangen und Aufhören kreisen.

Ein zotteliger Pelzmantel bildet die Haut für gemeinsame Erlebnisse, Beziehungen und Erfahrungen in David Nigros emotional heftig bewegender Choreografie „What hurts the most“. Unter Pseudonym hat der aus Italien kommende Tänzer auch die gesamte Musik – harte Clubsounds, starke Grooves und verletzliche melodische Fragmente – und Texte selbst geschrieben, gesungen und produziert. Ein außergewöhnliches Multitalent. Zwei Wesen gleiten durch Gemeinsamkeiten, bis sich eines löst und den Pelz abstreift. Damit ist Platz für neue Erfahrungen und eine andere Zweisamkeit geschaffen. Raum, den nach kurzer Zeit ein anderer Tanzender einnimmt, um neues Vertrauen zu entwickeln, neuerlicher Schmerz inklusive.

Ein überbordender Abend voller Emotionen und intensiver Eindrücke. Und damit ein großartiges Abschiedsgeschenk eines Ensembles, das mit seinem Leiter Georg Reischl und dem langjährigen Ballettmeister Christian Maier zu einem Team herangewachsen ist, wie man es selten erlebt.

 

Info:  Es tanzen Laureen Olivia Drexler, Elisabet Morera Nadal, Rei Okunishi, Louisa Peletti, Giorgia Scisciola, Filippo Buonamassa, Alessio Burani, Bartlomiej Kowalczyk, Lucas Roque Machado, David Nigro, Tommaso Quartani

 

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