Vielfalt der Tanzstile
Gefeierte Frühlingsmatinée der Heinz-Bosl-Stiftung in der Staatsoper München
So mancher Tausendfüßler würde vor Neid erblassen, könnte er sehen, wie koordiniert und flink schon die Jüngsten ihre Füße bewegen und über die Bühne schweben. Zu erleben war dies gleich zu Beginn der Heinz-Bosl-Matinée nach Klängen von Czernys „Etudes“, musikalisch bearbeitet von Knudåge Riisager. Die Choreografie „Exercices“, die hier am vergangenen Sonntag ihre Uraufführung erlebte, stammt von Jan Broeckx und seinem Team. Das Spektrum reicht von „Ronds de jambe“ über „Mirror dance“ über „Au milieu“ und „Tendus“ bis hin zu „Grand Battements“. Relevés, Rhythmusgefühl, ein Sinn für Körperhaltung, für musikalische Abläufe, Gruppengefühl, Balance, Pirouetten und Sprünge erfordern eine intensive und lange Ausbildung - aber die lohnt sich, wie Jan Broeckx erklärt. Davon konnte sich auch das Publikum überzeugen, das das Münchner Nationaltheater bis auf 5 Plätze füllte. Bevor die Jüngsten im Programmheft stehen und vielleicht auch schon erste Autogramme geben, gehen Jahre harten Trainings - vielleicht auch Entbehrungen - voraus, von körperlicher Eignung ganz zu schweigen. Die Gesichter und die Tanzfreude zeigen hier jedoch deutlich, wie erfüllt und beseelt die Kinder und Jugendlichen vom Tanz sind. Disziplin zahlt sich aus.
Sobald die Tanzstudent*innen über ihre technischen Grundkenntnisse verfügen, werden diese nicht nur verfeinert. In der von Ivan Liska geleiteten Junior Kompanie zwischen Ausbildung und Berufseinstieg geht es weiter mit Schnelligkeit, Übungen mit dem Partner im Pas de Deux, sowie weiteren anspruchsvollen Kombinationen - für die Mädchen auf Spitze und für die Jungen mit Hebungen. So hatte es das „Allegro brillante“ von Balanchine 3. Klavierkonzert von Tschaikowsky in sich. Gespickt mit Höchstschwierigkeiten wie Hebungen, Pirouetten mit einem Höchstmaß an Präzision - dabei stets die geometrischen Formationen im Blick behaltend - rauschen die Tänzer*innen über die Bühne, so dass einem der Atem stockt. Dabei ist „Allegro brillante“ mehr als nur eine Technikschau der Superlative, es ist eine Schule der Ästhetik. Vor allem bietet es aber auch Rüstzeug für verschiedene Tanzrichtungen und damit auch ein Schritt hin zur Individualität, zu einer Tänzerpersönlichkeit auf dem Weg in den Beruf. Gerade dieser Aspekt hin zu einer selbstbestimmten Künstlerpersönlichkeit war ein Thema des gerade zu Ende gegangen Symposiums „Tanzausbildung im Wandel“, ein Grundsatz, der seit Jahren schon im Lehrplan der „Ballett-Akademie der Hochschule für Musik und Theater“ verankert ist.
Es ist daher nur konsequent, dass im zweiten Teil der Matinée die jungen Tänzer*innen die Möglichkeit erhalten, auf ihren vielfältigen technischen Möglichkeiten basierend, die Rollen, Texte oder eben Botschaften mit ihrer eigenen unverwechselbaren Sprache zu gestalten, ja geradezu auszukosten, wie es bei „Liebesbotschaften“, einem Programm zu Franz Schuberts Liedern aus dem Zyklus „Schwanengesang“ zu erleben war. Ob im Solo, im Pas de Deux oder in kleinen Formationen überzeugten die Tänzer*innen in ihrer Interpretation, ob melancholisch, unbeschwert oder kontemplativ - auf jeden Fall intensiv und immer ergreifend. Lebendig gewordene Botschaften kamen auf die Bühne, interpretiert von den Tänzer*innen mit einer inneren Reife, die ihresgleichen sucht. Sie schöpften aus ihrem reichen Instrumentarium der verschiedenen Tanzstile und Temperamente, ohne sich dabei auf technische Belange konzentrieren zu müssen - so wirkte es jedenfalls.
Mit einem wortwörtlichen „Bonbon“ (Choreografie von Lior Tavori nach einer Komposition von Itamar Gross) verabschiedete sich das Bayerische Junior Ballett. Das Auftragswerk für die Heinz-Bosl-Stiftung, das hier uraufgeführt wurde, zeichnet sich nicht allein durch die bonbonfarbenen Kostüme aus. Es ist ein temporeiches, vielschichtiges Werk, das sich im Spannungsfeld zwischen (israelischem) Volkstanz und zeitgenössischem Tanz bewegt. Lior Tavori band nicht nur die Tänzer*innen, sondern auch den Komponisten in den Schaffensprozess ein, was zu einem lebendigen Austausch führte.
Wie sehr verhaftet Lior Tavori der israelischen Tradition ist, zeigen die Kreistänze, die hier Eingang gefunden haben, aber in Form einer Perlenkette auf die Bühne kommen und in ihrer Ebenmäßigkeit eine in sich ruhende Wirkung haben - als Ausdruck für Gleichberechtigung, als Spiegel der Gesellschaft. Das dürfte auch Carmela Shamir, der Leiterin des Generalkonsulat des Staates Israels für Süddeutschland, die in der 2. Vorstellung anwesend war, gefreut haben.
Ob Zufall oder nicht, das Phänomen oder ein verändertes Zitat der Krinoline, das hier in „Bonbon“ auftaucht, erinnert stark an die Nussknackerszene im 2. Akt, im „Reich der der Zuckerfee“. Vielleicht hat ja ein Bonbon aus Tschaikowskys „Nussknacker“ eine Zeitreise in das 21. Jahrhundert angetreten?
Wie auch immer: Für Jubel sorgte das gesamte Ensemble der Ballettakademie sowie das Bayerische Junior Ballett an diesem Vormittag mit seinen vielen Beinen, um beim Bild des Tausendfüßlers zu bleiben.
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