„Norm Manual“ von Yuexuan Gui, Performance: Yuexuan Gui

Wie ist es denn nun „richtig“?

„Norm Manual“ von Yuexuan Gui im Oktogon der HfBK Dresden

White cube, grey matter: Ein Duo als performative Installation stülpt die Materie über den Geist. Oder andersrum. Und das ist gerade mal eine Masterarbeit. Äußerst beeindruckend.

Dresden, 17/09/2022

Site specific und komplett aus einem Guss. Genau so hat man es auch erwarten dürfen. Yuexuan Gui hat im Oktogon der HfBK Dresden ihre Masterarbeit vorgelegt, mit der sie den Masterstudiengang Choreografie an der Palucca Hochschule für Tanz Dresden abschließt. Zuvor hatte sie schon ziemlich Eindruck schinden können mit ihrer feinsinnig geschnitzten Arbeit „Nothing But Illusion“. Und jetzt das.

Im White Cube des Oktogons gruppiert sich das Publikum lose entlang der Wände des Raumes. Wer mag, holt sich einen Stuhl. Die meisten stehen. In der Mitte ein von der Decke auf Bodenhöhe hängendes weißes Blatt in DIN A4-Format. In der Ecke am Pult David Le Thai, der für die Sounds verantwortlich zeichnet. Er hat sich bereits als sichere Bank für Arbeiten in der freien Szene Dresdens etabliert. Sollte also passen. Sonst aber: gähnende Leere.

Yen Lee betritt den Raum, unter dem Arm ein Gebläse, daran befestigt ein endlos langer, silbergrauer Schlauch. Extra dafür wurde eine Ecke freigehalten. Während sie damit beschäftigt ist, das Ungetüm zu platzieren, schleppt Yuexuan Gui ein riesiges weißes Kissen herein, fast leer, nur etwas mit Luft gefüllt, federleicht. Der nächstliegende Gedanke: Warum wurde das alles nicht schon vorher in Position gebracht? Mittelschwere Irritation. So bleibt aber Zeit, ganz entspannt das Komplementäre zu entdecken: Yuexuan Gui trägt ein helles, langärmliges Top zu einer grauen Hose; in Yen Lees Fall ist es umgekehrt. Beide wirken in diesem farblichen Gesamtensemble und der Helligkeit des Raumes wie zwei Ausstellungsstücke.

Yuexuan Gui verschwindet unter dem auf dem Boden ausgebreiteten Kissen. Und spätestens, als Yen Lee es ihr gleich tut, wird das Offensichtliche deutlich. Hier ist völlig unklar, in welchem Moment die Performance beginnt. Sounds setzen keine ein. Für kurze Momente lugt ein Kopf unter dem Kissen hervor, am anderen Ende ein paar Füße. Sie schälen sich langsam heraus und gehen die Sache an: Es ist das weiße Blatt, das „Manual“ aus dem Titel, das Orientierung geben soll. In leicht mechanisch wirkenden, klar voneinander abgegrenzten Posen entsteht ein fast szenischer Moment, wenn sie das Blatt drehen und wenden. Es ist aber leer. So ganz ohne Anleitung versuchen sie es selbst, fügen sich wie zwei Bauteile eines Systems zu einem Quadrat zusammen. Diese beiden „Gegensätzlichen“ könnten eins sein, eins werden. Eventuell. Sie installieren sich selbst im Raum, versuchen es zumindest. Ihre ausdruckslosen Gesichter sprechen von post-ironischem Ansatz. Immer wieder werfen sie sich Blicke zu, deren Bedeutung dem Zuschauer ein Rätsel bleiben muss.

Irgendwann beginnt es aus den Boxen zu beben, zu vibrieren, zu klimpern. Ein akustischer Baukasten, der auch keine Anleitung bietet. Yuexuan Gui und Yen Lee sind aneinander, versuchen das Aufeinander. Entspannte Konzentration. Diese körperliche Versuchsanordnung wird in artifizieller Weise immer wieder verdreht, wodurch neue Perspektiven entstehen. Sie umwinden einander und verknoten sich, ohne dabei voran zu kommen.

Zwischendurch schiebt sich der aufgeblasene Schlauch durch den Raum, entpuppt sich als Barriere, die in ihrem Verlauf immer neue Richtungen einschlägt. Das könnte einen Rahmen bilden; geradezu verzweifelt versuchen die beiden Performerinnen, das Ungetüm mit Eigenleben in irgendeine Positionierung im Raum zu bringen. Vergeblich. Die innere Überforderung wird sichtbar. Die Anspannung wird zu groß. Es kommt zum Konflikt zwischen beiden. Sie bedrängen sich gegenseitig mit den Auswüchsen des Schlauches, bis sie in einem unübersichtlichen Knäuel in der Ecke landen. Problemlos ließe sich das auch als Kampf von Ratio gegen Emotio lesen. Nur ist dieser Kampf der Würste absurd. Das Lächerliche ist ernst gemeint. Unter der sichtbaren Oberfläche verbirgt sich jede Menge. Fragt sich nur, was.

Das Kissen baumelt irgendwann hoch über den Köpfen, trotz seiner Größe aber nicht bedrohlich. Die beiden Performerinnen versuchen es immer noch miteinander, noch einmal. Ein kurzer Blick könnte hier blasse Kontakt-Impro sehen. Die Sache ist aber deutlich komplexer. Die Bewegungen werden schneller, organischer. Aus den Boxen klickert es mit leichtem Echo. Trotzdem scheint kein Vorankommen möglich.

Schließlich versuchen sie es getrennt voneinander. Yuexuan Gui kämpft mit der Größe des Kissens und reiht dabei künstlich aufgesetzte Gefühlsregungen aneinander. Der Irrwitz steht ihr dabei zur Seite. Und in der Ecke ficht  Yen Lee ihren letzten Eroberungsversuch mit dem Gebläse aus. Yuexuan Gui presst sich samt Kissen durch einen schmalen Türspalt und ist verschwunden. Komplett im Schlauch verknotet hängt Yen Lee „tot“ über dem, was selbst kein Leben hat. Dann ist es lange still, bis der Applaus einsetzt. Nach der Vorstellung hört man aus dem Publikum: „Eine starke Arbeit!“ Stimmt, absolut.

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