Jerome Robbins: Ensemble in „En Sol“

„En Sol“ von Jerome Robbins. Tanz: Ensemble

Strandleben, Sternenhimmel und Slapstick

Dreimal Jerome Robbins an einem Abend im Palais Garnier

Der dreiteilige Ballettabend mit „En Sol“, „In the Night“ und „The Concert“ am Palais Garnier bemüht sich die Facetten des amerikanischen Meisterchoreographen Jerome Robbins herauszustellen. Doch das glückt nur bedingt.

Paris, 02/11/2023

Mit den drei Balletten „En Sol“, „In the Night“ und „The Concert“ von Jerome Robbins ehrte die Pariser Oper einen Giganten der amerikanischen Tanzgeschichte, der im Ballettsaal ebenso zuhause war wie auf dem Broadway. Die Oper hat 17 Werke des Choreographen im Repertoire. In den drei ausgewählten Balletten sah man sowohl, was Robbins mit seinem berühmtesten Kollegen George Balanchine verbindet – beispielsweise die Musikalität und die Erweiterung des klassischen Balletts durch Elemente anderer, oft amerikanischer Tanzstile – als auch die Eigenheiten von Robbins’ Choreographien. Darunter fällt etwa das stärkere Interesse an der Individualität der Interpret*innen und Figuren seiner Ballette, die sich oft um ein Thema drehen oder eine vage Handlung haben, und sein ausgeprägter Sinn für Humor. Der Abend gab auch einen Einblick in die bemerkenswerte stilistische Bandbreite des Choreographen.

Das Programm begann mit „En Sol“ zu Maurice Ravels gleichnamigem Klavierkonzert, das stark vom Jazz inspiriert ist; diese Inspiration spiegelt sich auch in der Choreographie des Balletts wieder. In dem heiteren Werk begegnet sich eine Gruppe junger Menschen an einem Strand, flirtet, spielt, schwimmt und tanzt. Das Herzstück des Balletts bildet ein langer Pas de deux eines Paares in Weiß (Hannah O’Neill und Hugo Marchand), dessen flüssige, an Wiederholungen reiche Choreographie das Wogen und den ununterbrochenen Fluss der Musik widerspiegelt. Anders als beispielsweise in Bronislawa Nijinskas hinreißendem (und leider nie aufgeführtem) Strandballett „Le train bleu“ ist das Paar dieses Pas de deux vollkommen ernst, und sein Verhältnis bleibt leicht mysteriös.

Im zweiten Stück des Abends, „In the Night“ zu Musik von Frédéric Chopin, charakterisierte Robbins das Verhältnis dreier Paare zu einander genauer. Ihre Beziehungen sind das Hauptthema des Balletts, das man als nächtliche Fortsetzung des im Vorjahr entstandenen Chopin-Balletts „Dances at a Gathering“ interpretieren könnte. Das Stück beginnt mit dem Auftritt eines jungen Paares, dessen Liebe gerade frisch erblüht ist: hingebungsvolle Hebungen, wirbelnde Pirouetten, leidenschaftliche Umarmungen wechseln sich ab mit langsameren Passagen, in denen die beiden ihrer Begeisterung füreinander durch lange Blicke oder innige Gesten Ausdruck verleihen. Sae Eun Park und Paul Marque tanzten diesen Pas de deux leider etwas zu schüchtern und kühl, so dass das Entzücken erster Liebe nicht so recht spürbar wurde. Meisterhaft zeigten sich hingegen Ludmila Pagliero und Mathieu Ganio im zweiten Pas de deux eines reiferen, perfekt synchronen Paares, das zunächst ein Ritual, beinahe einen Hoftanz aufzuführen scheint. Trotz der anfangs sehr formellen Choreographie vermittelten die beiden nicht den Eindruck eines leblosen, gelangweilten Paares, sondern den eines harmonischen, eingespielten Teams. Wie im ganzen Stück verwendet Robbins hier originelle Hebungen, wie etwa eine beinahe unpassende Pose für so ein wohlerzogenes Paar, in der der Tänzer seine Partnerin senkrecht auf den Kopf stellt. Im letzten Pas de deux gerieten die charmant kapriziöse Amandine Albisson und Audric Bezard als ihr an den Rand der Verzweiflung getriebener Partner aneinander. Sie gaben ein Paar, das weder mit noch ohne einander leben kann; Zweifel, Drama und Konfrontation lösten sich allerdings am Ende in eine zerbrechliche Harmonie auf.

In „The Concert“, das den Abend beschloss, änderte sich die Atmosphäre abermals. Robbins parodiert darin das Verhalten einer Gruppe von Konzertbesucher*innen, die humorvoll charakterisiert werden: von der exaltierten Ballerina (die von Léonore Baulac herrlich naiv und mit einigem Selbsthumor interpretiert wurde) bis zum treulosen Ehemann (der zigarrenrauchende und zeitunglesende, schauspielerisch noch etwas zurückhaltende Arthus Raveau). Dazu erfand er einige Szenen, die sich in deren Phantasie abspielen und erlaubte sich zahlreiche Gags an der Grenze zum Slapstick, die das Publikum noch über ein halbes Jahrhundert nach der Uraufführung zum Lachen bringen, etwa die komischen Verirrungen einer Gruppe von Ballerinen, die sich vergeblich mühen, einen Walzer aufzuführen, die Mordgelüste und heroischen Anwandlungen eines Pantoffelhelden, oder schließlich die Verwandlung der ganzen Tänzerschaft in Schmetterlinge, denen die verärgerte Pianistin mit einem riesigen Fangnetz nachstellt.

Der Abend zeigte zwar einige Facetten des amerikanischen Meisterchoreographen, doch mangelte es – trotz der Ensembleszenen in „En Sol“ – ein wenig an der Dynamik von Werken wie „Fancy Free“, „Glass Pieces“ oder „The Cage“ und an emotionalen wie tänzerischen Höhepunkten, so dass der kurze Ballettabend etwas profilarm verrann. Dennoch sind alle drei Ballette Zeugnisse des choreographischen Genies von Robbins, von dem man gerne in den kommenden Spielzeiten mehr sehen würde, beispielsweise – neben den bereits genannten Werken – Wiederaufnahmen von „Afternoon of a Faun“, „Other Dances“ oder gar die nur in einer Spielzeit an der Pariser Oper aufgeführten „Four Seasons“.

Besuchte Vorstellung: 30.10.2023

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