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Dovydas Strimaitis mit „Hairy 3.0“ und „The Art of Making Dances“ beim DANCE Festival in München
Wenn William Forsythe immer wieder mit den Worten zitiert wird, Tanz sei Denken in Bewegung, könnte man dem jungen Choreografen Dovydas Strimaitis das Zitat in den Mund legen, der Mensch sei nur das Mittel für den Tanz an sich. Zumindest ließe sich so zusammenfassen, was er mit zwei kurzen Stücken im Rahmen des DANCE Festivals in München gezeigt hat.
Für „Hairy 3.0“ haben er und die beiden Performerinnen Lucrezia Nardone und Hanna-May Porlon sich in hautenge schwarze Ganzkörperanzüge aus glänzendem Lack gezwängt. In der Black Box des HochX reflektieren diese künstlichen Oberflächen das Scheinwerferlicht derart ablenkend, dass die drei Performer*innen dahinter verschwinden. Einzig unbedeckt bleiben ihre Köpfe mit jeweils beeindruckend langen Haaren. Wie der Titel bereits vermuten lässt, sind sie es, die hier im Mittelpunkt stehen. Strimaitis hat für die drei eine „Haareografie“ geschaffen, bei der man vom bloßen Zuschauen bereits nach zwei Minuten Kopfschmerzen bekommt. Und das ganze dauert stolze 20.
Entmenschlicht, fremd
Zu Beginn stehen alle drei frontal zum Publikum, die Beine gespreizt, die Oberkörper weit nach vorn gebeugt, sodass ihre offenen Haare wie Objekte deutlich im Vordergrund stehen. Oder besser hängen. Es heißt ja, alles, was sich bewegt, habe ein Eigenleben. Und alles, was ein Eigenleben hat, weise Attraktivität auf. Lange Haare sind nicht ohne Grund beliebt. Und Strimaitis bleibt bei dieser initialen Objekthaftigkeit. Harte Beats geben unerbittlich den Takt vor für entmenschlichte, fremde Bewegungen, die nicht in den Körpern liegen, sondern in den Haaren allein, sozusagen losgelöst von allem Menschlichen. Die starke Monotonie des Taktes baut sehr schnell eine Sogwirkung auf, die allein auf der Mechanik der Bewegungen beruht. Variationen bleiben sehr übersichtlich, keine eventuellen Popzitate, kein Vogueing oder Posing. Es sind und bleiben nur die Haare ganz allein und für sich. Geschlechter spielen ebenso keine Rolle wie die Gesichter der Performer*innen. Das öffnet einen Raum für Reflexionen über den Körper als funktionalen Träger an sich. Was bleibt übrig, wenn der Mensch nicht mehr „in“ ihm ist?
Genau so mechanisch arbeitet Strimaitis auch in seinem halbstündigen Solo „The Art of Making Dances“, das er selbst performt. Das Publikum sitzt auf Kissen auf dem Boden im Kreis um den Tanzboden herum, der grob mit weißen Klebestreifen punktuell umrissen ist. Die Mitte markiert noch einmal ein solcher Klebestreifen. Es sind aber nicht die kleinen, diskreten, die Schwarzlicht reflektieren und zur Orientierung für Positionen von Tänzer*innen oder Requisiten dienen. Diese hier sind nicht zu übersehen, geradezu grobschlächtig in ihrer Auffälligkeit. Bezugspunkte sind auch sie, allerdings eben ganz offen dargelegte und damit Teil des Konstruktionsplans. An ihnen entlang baut Strimaitis ein streng reguliertes Muster auf, das sich ganz genau mittels Linien auf dem Boden nachzeichnen ließe. In groben Straßenschuhen zeichnet er locker gehend den angedeuteten Kreis nach. Leise einsetzende Beats schaffen es nicht, ihn in einen bestimmten Rhythmus zu drängen. Diese völlig natürliche Bewegung variiert er schließlich durch leichte Verzögerungen seiner Schritte, wobei er einen eigenen Takt findet, der sich irgendwann dann doch synchron mit den Beats aus den Boxen überlagert. Und Variationen sind es, die sein Konzept ausmachen, hier allerdings stärker skizziert als in „Hairy 3.0“.
Kontemplation der Einzelteile
Die Kreisbewegung variiert immer stärker, immer weiter bewegt er sich auf den Mittelpunkt zu, hin zur Mitte und wieder nach außen. Ein bisschen erinnert dieses Bewegungsmuster an die vier anonymen Kapuzen-Figuren aus Becketts „Quadrat“, die es schaffen, sich dank strenger Geometrie äußerst geschickt aufeinander zuzubewegen, jedoch ohne jemals miteinander zu kollidieren. Weil Strimaitis hier aber eben ganz allein ist, lenkt niemand von seinem Bewegungsvokabular ab. Ganz ähnlich wie in „Hairy 3.0“ lädt er das Publikum ein zu einer Art Kontemplation, die sich den einzelnen Körperteilen widmet: Sukzessive steigern sich Lautstärke und Härte der Beats, während Strimaitis ausdruckslos erst seine Arme mit in die Bewegungen einbezieht, ganz leicht, minimal und einzeln, dann die Knie und Fußgelenke für vertikale Variationen. Drehungen der Schultern und Hüften schaffen zunehmende Komplexität, bis der gesamte Körper integriert ist und „alles“ tanzt. Genau dann, wenn keine Steigerung mehr möglich ist, weil „der Körper“ nichts „weiteres“ mehr zu bieten hat, stoppen die Beats, Strimaitis stoppt in seinen Bewegungen, nur sein Atem ist zu hören. Der eigentliche Rhythmus, der allem unterliegt. Dann stoppt auch sein Atem, als würde sein Körper „aufhören“. Black. Übrig bleibt die äußerst befremdliche Frage, ob man ohne Körper eigentlich tanzen kann.
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