Seite an Seite – ohne Klischees
„alongside“ am Heidelberger UnterwegsTheater
Wie ein Team auf der Bühne zusammenfinden kann, hat das Publikum des Heidelberger UnterwegsTheaters 35 Jahre lang aufs Schönste beobachten können – und zum Jubiläumswochenende wieder. Den sechs Tänzer*innen in „T.E.A.M“ reicht am Ende ein Fingerschnipsen, um sich mit den Übrigen zu verbinden, ohne die Eigenständigkeit aufzugeben. Ihre integrativen Fähigkeiten, ihr Gespür für Zeit und Raum und ihre Gabe, individuelles künstlerisches Potenzial zu erspüren, hat Hauschoreografin Jai Gonzales auch in „Politanz II“ bewiesen. Die kurzen Auftritte langjähriger künstlerischer und politischer Wegbegleiter im Jubiläumsprogramm hat sie mit scheinbar leichter Hand charmant gemixt.
Stavros Apostolatos, Stammtänzer im UnterwegsTheater-Ensemble, präsentierte sich mit „Day Two One / Day Three Two“ erstmals als Choreograf. Zusammen mit vier Kolleginnen und Kollegen demonstrierte er die schwere Kunst der gemeinsamen Improvisation. Das Ausprobieren neuer, athletisch anspruchsvoller Bewegungskombinationen kann nur bei gegenseitigem Respekt funktionieren – und wenn das „Ja“ oder „Nein“ des Gegenübers zu hundert Prozent respektiert wird.
Wie schwer sich der Fluss assoziativer Gedanken in eine gewünschte Richtung lenken lässt, das zeigte der langjährige Forsythe-Tänzer Amancio González in seinem Stück „The Chopin Projekt of A Man“ (zur gleichnamigen Musik des Isländers Ólafur Arnalds). González’ Erinnerungen an bukolisches Landleben münden in eine verstörende Begeisterung für die variablem Techniken, mit denen Nutztiere geschlachtet werden: von der Schächtung bis zum Bolzenschuss. Zur Beschwörung einer ästhetisch perfekten Vergangenheit helfen auch drei Grazien in Schlauchkleidern nicht – trotz hoch aufgetürmter Rokoko-Perücken halten sie sich nicht an formelle Spielregeln. Der nimmermüde spanische Tänzer, lebende Antithese zu den Aussagen über die Durchschnittsdauer einer Tanzkarriere, tourt zurzeit noch mit dem Erfolgsstück „Navy Blue“ von Oona Doherty durch Deutschland, bevor er ein neues Engagement in Kopenhagen antritt.
(Body-) Memory
Jai Gonzales zeigt sich bei Premieren grundsätzlich nicht selbst auf der Bühne. Das Rampenlicht und der Beifall gebühren aus ihrer Sicht den Tänzerinnen und Tänzern – die ihre Arbeit überhaupt erst möglich machen. Folgerichtig hat die Choreografin eine kleine und gleichzeitig große Hommage an diejenigen, die dem Tanz ihre physische und psychische Gesundheit opfern, in das dreitägige Jubiläumsprogramm in der Hebelhalle eingewoben.
„If – ein verzweifelter Kommentar“ wird mit temperamentvoller Rasanz von der ehemaligen Forsythe-Tänzerin Imma Rubio eingesprochen, während sie sich Kopf und Körper an ihre Tanzkarriere erinnern: an den Hunger und die Demütigungen, die Scham und die Angst, nicht zu genügen, den Raubbau am eigenen Körper und den wunderbaren, nicht enden wollenden Sog des Tanzens. „I’m not doing that anymore“, klingt wie eine authentische Beschwörungsformel: Die Spanierin lebt inzwischen auf dem Land und kümmert sich um Hunde. Emma Rubio, in deren Body Memory sich „Schwanensee“ unauslöschlich eingeschrieben hat, schaut eher ungläubig auf ihr jüngeres Alter Ego, Neve Abel, die sie nur mit „Girl“ adressiert. Die junge Tänzerin lässt sich von fremder Lebenserfahrung freilich keinen Deut irritieren. Sie mixt – ganz tänzerische Zeitgenossin – höchste Beweglichkeit mit plötzlicher Eruption.
Große Klasse auch in Zukunft?
Dieser zugleich empathische und schonungslose Blick auf den Preis, den der Tanz kostet, würde sich im Rahmenprogramm jedes Tanzfestivals bestens machen – und wirft ein Schlaglicht darauf, in welcher Liga das UnterwegsTheater seit Jahrzehnten spielt. Nicht umsonst ist es das einzige professionelle freie Tanztheater mit eigener Spielstätte in Baden-Württemberg. Aus dieser Spielstätte – einer ehemaligen Industriehalle – haben Bernhard Fauser und Jai Gonzales in dreizehn Jahren ein Theater gemacht, das als beste freie Tanz-Spielstätte in Baden-Württemberg gilt. Mit dem räumlich angeschlossenen Choreografischen Centrum und riesigen Ausstellungflächen im Keller bietet die Hebelhalle bessere Bedingungen als viele bekannte Tanz-Produktionszentren. Allerdings schulterten die beiden Macher*innen dabei ein Aufgabenpaket, das in kommunalen Theatern von einer vielköpfigen Mitarbeiter*innencrew bewältigt wird. Noch ein weiteres Jahrzehnt kann dieses Konzept nicht gutgehen. Zwar erhält das UnterwegsTheater Fördermittel von Stadt und Land, aber gemessen an den professionellen Standards, die Fauser und Gonzales wie selbstverständlich erfüllen, ist dieser Betrag zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben.
Im November steht die Vertragsverlängerung der Hebelhalle für weitere zehn Jahre an. Ohne ein tragfähiges Theater-Konzept für die Zukunft wären Bernhard Fauser und Jai Gonzales wohl besser beraten, sich in Zukunft ein anderes Feld der Ehre zu suchen – schließlich haben die Zwei zum Beispiel in Lima unter Beweis gestellt, dass sie ein Millionenpublikum animieren können. Die Hebelhalle mit den Beiden könnte auch in Zukunft großartiges Theater bieten – ohne die Beiden ist es nur eine Halle.
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