Zwei Leben für den Tanz
Das Heidelberger UnterwegsTheater feiert sein 35jähriges Bestehen
Die aus Peru stammende, in Heidelberg ansässige Choreografin Jai Gonzales hat ziemlich strikte Vorstellungen davon, wie das menschliche Miteinander gelingen kann und wie nicht. Sie versteht sich als Gefühlsmensch – aber sie hat eine ausgeprägte Skepsis gegenüber Sentimentalität oder allzu missionarischem Eifer. Zugleich verfügt sie über einen bemerkenswerten Pragmatismus, der auch ihre choreografische Handschrift prägt: Sie gibt das Thema vor, aber zugleich weiß sie ganz genau anzunehmen, was die Tänzerinnen und Tänzer ihr bieten können – und fördert sie darin, statt ihnen einen fremden Drill aufzuerlegen. Das mag einer der Gründe sein, warum Tänzer*innen immer wieder mir ihr arbeiten – und höchsten Respekt zollen. Es spricht für das Funktionieren dieser Zusammenarbeit, dass sich hier junge mit älteren Tänzer*innen, Newcomer*innen mit langjährigen Mitgliedern des Ensembles auf Augenhöhe treffen.
Nina Michailidou zum Beispiel glänzt mit einer ungewöhnlichen Stärke und verharrt zitterfrei in anspruchsvollen Posen, während der taiwanesische Tänzer Shih Pin Lin durch seine fast fragile Zartheit wirkt, die er kurzzeitig mit akrobatischer Schnellkraft konterkariert. Der sanfte griechische Hüne Stavros Apostolatos scheint vorsichtig nachzufragen, ob seine Mithilfe zur Überwindung der Schwerkraft bei einer zierlichen Tänzerin gefragt ist – und wenn, dann trägt er sie doch so sicher und behutsam, als wäre sie ein Kind.
Synergetisches Unisono
Bei aller Individualität steht das Neben- und Miteinander im Zentrum des Stücks. Die schwarz ausgeschlagene Bühne kommt ohne Dekoration aus; eine dezente, aber sehr genau akzentuierte Beleuchtung erlaubt es den Mitwirkenden, unauffällig im Dunkeln zu verschwinden (Licht: Bernhard Fauser). Immer wieder wechseln sie dabei ihre farbigen Shirts (zu unterschiedlichen kurzen schwarzen Hosen), um eine anders akzentuierte Rolle im selben Spiel aufzugreifen: Seite an Seite, nebeneinander, miteinander, füreinander. Natürlich bedient sich auch Jai Gonzales bei bekanntem Bewegungsvokabular, aber sie demonstriert eine scharfsinnige Distanz zu allen gefälligen Stereotypen.
Eigene Stärken ausspielen? Nur so gelingt Gemeinsamkeit. Verantwortung für die eigene Bewegung übernehmen? Jederzeit, immer und unbedingt: In der Begegnung mit jedweden Partner*innen, als Teil einer Gruppe auf Zeit. In den zehn Sätzen des abendfüllenden Stückes gibt es kurz vor Schluss die Phase „Weiter machen, immer wieder“. Wenn das Ensemble sich im gemeinsamen Bewegungsrhythmus findet und Energie aller auch Alle trägt, bleibt der plötzliche Ausbruch einer Tänzerin Privatsache: Aufstehen, weitermachen, ist die unausgesprochene Botschaft der Gruppe, die statt rasch helfender Hände auf die synergetische Kraft des Unisono setzt.
Fließende Bewegungsenergie immer im Bewusstsein des umgebenden Raums zu einem sensiblen, stilistisch weit gespannten Musikmix sind ein choreografisches Markenzeichen von Jai Gonzales – in „alongside“ deutlich mehr vom klassischen Ballett geprägt als sonst. Die Tänzerinnen und Tänzer haben dieses Bewegungswissen mitgebracht – und Jai Gonzales spitzt die Feinheiten dieser Tanzsprache durch eine delikate Arbeit mit Handhaltung und Fingerbewegungen zu. Sie sind das Tüpfelchen auf dem „i“ eines Stückes, das es ohne Drama schafft, das Publikum von der ersten bis zur letzten Sekunde zu faszinieren.
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