Being Jérôme Bel
Charles Washington / Pinkmetalpetal Productions mit „The Children of Today“ in Hellerau
Dass es im Leben keinen guten oder schlechten Weg gäbe, mit diesen Worten endet ein aus dem Off ins Dunkle des Zuschauerraums gesprochener Text. Eine weibliche Stimme, mutmaßlich nicht mehr ganz jung, leitet damit geradezu sanft in eine Reflexion über, eine tänzerische Auseinandersetzung mit dem, was Altern bedeutet. Und hier scheint es so, als wäre das Altern ein Prozess, der abläuft, während wir mit ganz anderen Dingen beschäftigt sind.
Charles Washington hat sich in Koproduktion mit dem projekttheater drei Leute an die Seite geholt, die zusammen eine große Altersspanne abdecken: Luna Detscher ist 15; mit Mitte 60 findet sich Hannes Detlef Vogel am anderen Ende des Spektrums. Und so groß der Altersunterschied zwischen beiden, so unterschiedlich ist auch ihr Ausdruck. Vogel war lange Jahre Charaktersolist im Ballett der Semperoper. Seine Bewegungen zeigen viel Gestik. Die Jüngste, fast ein Klischee, widmet ihre Aufmerksamkeit großteils dem Smartphone. Seraphina Detscher und Charles Washington als „Altersmitte“ arbeiten sich im Wortsinn permanent am Alltag ab. Da gibt es keine Pause. Dramaturgisch wird durch die Musik (ebenfalls: Charles Washington) eine Art dauerhaftes Bemühen vorgegeben. Leise Töne stehen hier neben ruhigeren, ein bisschen Violine, dann mal wieder etwas mehr Beats. Bei allem Variantenreichtum gibt es hier eins nicht: eine Pause. Das Leben ist eben keine Uhr, die man anhalten kann.
Alles gleichzeitig
Johann Ju nutzt für sein Lichtdesign die eigenartigen Dimensionen der Bühne (relativ schmal, relativ tief) und schafft immer wieder neue Räume, die die Tänzer mal im Gegenlicht als amorphe Masse auf ihre Umrisse reduzieren, mal fast hinter einzelnen Spots verschwinden lassen. Am leichtesten lesen lässt sich das, wenn man die vier Tänzer*innen nicht individuell liest, sondern als einen einzelnen Menschen, der „jedes Alter“ gleichzeitig repräsentiert. Unsicher nach vorn tastende Jugend steht direkt neben reflektierter, von Zwängen befreiter Reife. Wenn sich Hannes Detlef Vogel zwischendurch für einige Momente am Rand auf einem Stuhl etwas Ruhe gönnt, ist das eben kein Aussteigen aus dem Prozess. Er bleibt dabei Teil der beständigen Bewegung, Teil des immerwährend ablaufenden Prozesses.
Dadurch sind die Tänzer*innen gleichzeitig vier Individuen und ein einzelner Mensch in seiner Komplexität. Das ermöglicht dem Publikum in jedem Alter, direkt andocken zu können. Dieser unaufhaltsame Prozess spricht jeden an. Das gelingt, ohne vom Publikum etwas zu fordern oder mit komplexen Botschaften zu überfrachten. Man kann sich einfach zurücklehnen, zuschauen und sich denken: So ist es. Es ist wie eine Art entspannter Teilhabe an diesen unausgesetzten Bemühungen, sich durchs Leben zu manövrieren. Zum Schluss blicken alle vier entspannt ins Publikum: „Und du so?“ Gute Frage.
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