Salz und Zungenbrecher
Tanz im August: Postkoloniale Positionen von Tamara Cubas und Soa Ratsifandrihana
Tanz im August: Neues von Jérôme Bel und Estelle Zhong Mengual sowie Meg Stuart und Francisco Camacho
Im Diskurs: „Non human dances“ von Jérôme Bel und Estelle Zhong Mengual
Im Falle von Jérôme Bels „Non human dances“ ist die Partnerin die Pariser Kunsthistorikerin Estelle Zhong Mengual, die zusammen mit fünf Tänzer*innen im HAU 1 szenisch die Welt des Nicht-Menschlichen im Tanz in einer Lecture-Peformance erkundet, die tanznetz bereits zum Wiener Impulse-Festival ausführlich gewürdigt hat. Es ist ein leichter durchaus anregender Abend durch die Tanzgeschichte, der mit tollen Bildern vor allem in den rekonstruierten Tänzen von Loïe Fuller und dem wiederaufgelegten „Le vocabulaire des lions“ (von und mit Xavier Le Roi) überzeugt und den Tanz in den Diskurs des Theaters des Anthropozäns überführt. Freilich bleibt es eine Lecture-Performance und die Kunst auf der Bühne bleibt nur Vehikel für den performten Essay von Estelle Zhong Mengual. Hier hat eine etwas zu erzählen und Jérôme Bel unterstützt mit seinen Möglichkeiten, seinem Wissen und Können, seinen Kontakten.
Ohne Diskurs: „steal you for a moment“ von Meg Stuart und Francisco Camacho
Wenig Diskurs bietet das Stück „steal you for a moment“ von Meg Stuart und Francisco Camacho. Sie werden unterstützt von Gaëtan Rusquet, der auch das Bühnendesign übernommen hat, und seine seznischen Interventionen setzen meist auch an dieser Stelle an. Schon zu Beginn läuft er über die Bühne, über deren Boden große gerade, farbige Linien oder Strahlen laufen. Rusquet macht sich an einigen Holtzeilen zu schaffen – Winkel und Pyramiden – und stellt sie zu neuen Gebilden zusammen. Später wird er über die dunkle Bühne grüne Laserstrahlen wandern lassen und die Holzelemente zu einer Modellstadt zusammenbauen. Doch trotz der zahlreichen Elemente ist dieser Raum im kleinen Saal des Radialsystems vor allem ein leerer. Motivation für den Abend waren, so weiß das Programm, die Nuraghen-Ruinen auf Sardinien, denen sich Stuart und Camacho hier annähern.
Es ist ein vom Anbeginn an erratischer Abend. Stuart im grünen, Camacho im lila Anzug betreten die Bühne. Es surrt und fiept aus den Lautsprechern, bald liegen sie auf dem Boden, ziehen die Knie an, sitzen bald wieder, stehen und lassen die Arme schwenken. Nebeneinader, nur selten gleichzeitig und zunächst ohne gemeinsame Kommunikation. Die Soundfarbe ändert sich, eine Gitarre kommt hinzu, manchmal nähern sich die Bewegung parallel an, dann verliert sich das wieder. Später baut sie ihm mit den Holzteilen eine Hütte oder beide begeben sich mit Kopflampen auf eine Art Expedition. Sie entdecken ein Pendel, das wiederum mit einer Soundspule im Boden verbunden ist. Dann fängt Stuart an den Schilf von den den Rückwänden abzuzupfen, um daraus einen Strauß zu machen. Am Ende liegen beide am Boden und reden darüber, ob sie Kinder haben wollen.
Man kann diesen Abend durchaus als Auseinandersetzung mit den Ruinen lesen oder als eine Archäologie der Annäherung, wenn man denn möchte. Das steckt alles drin in diesen 90 Minuten. Doch ohne jegliche Spannung. Zu keinem Zeitpunkt weckt das Bühnentreiben irgendeine Neugier. Alles plätschert brav vor sich hin, ohne erkennbaren Willen, eher wie eine Fingerübung für zwei gestandene Künstler*innen, die sich und der Welt ohnehin nichts mehr beweisen müssen. Das ist auf der einen Seite befreiend, aber auf der anderen Seite enttäuschend. Denn es gibt sicher genug junge Tänzer*innen und Choreograf*innen, die der Welt und dem Publikum noch etwas zu sagen haben.
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