„Troja“ von Andonis Foniadakis, Tanz: Montana Dalton, Chia-Fen Yeh

„Troja“ von Andonis Foniadakis, Tanz: Montana Dalton, Chia-Fen Yeh

Im Sog der Nachkriegsgewalt

„Die Troerinnen“ als bedrückendes Anti-Kriegs-Mahnmal am Gärtnerplatz

Das Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz präsentiert schonungslosen Totaleinsatz bei Andonis Foniadakis Balletturaufführung „Troja“ nach Euripides’ antiker Tragödie.

München, 02/07/2024

Andonis Foniadakis ist ein kreativer Unruhegeist. Seit einiger Zeit begegnet man seinen Werken immer häufiger in Deutschland. Die Arbeiten des aus Kreta stammenden Choreografen und einstmaligen Béjart-Tänzers einer bestimmten Stilart zuzuordnen, ist kaum möglich. Stück für Stück passt er seine klassisch basierte Technik mitsamt einer ihm eigenen, oft unglaublich wie Stromschnellen dahinfließenden körperlichen Expressivität dem Auftrag, einer zugrunde gelegten Thematik und nicht zuletzt den künstlerischen Möglichkeiten des jeweiligen Ensembles an. 

Sein Septett „Bonds“ im Rahmen der 5. Ausgabe der Augsburger Ballettreihe „Dimension of Dance“ funktionierte rein musikalisch. Für Gauthier Dance in Stuttgart brachte Foniadakis in „Almyra“ die unstete Bewegtheit des Meeres auf die Bühne – das Element Wasser als Urgewalt: je nach Wind und Wetter mal still, mal tosend. Das Hongkonger Ballett bekam jüngst ein knalliges, kraftvoll-neoklassisch anmutendes „Depeche Mode“-Stück von ihm. Darin tanzen die Frauen auf Spitze. Seine erste abendfüllende Kreation hierzulande „Urlicht“ hatte Foniadakis letztes Jahr in Kassel vorgestellt. Nun ist der rastlos umtriebige, mittlerweile in Paris lebende freischaffende Choreograf mit seinem langjährigen Team in München angekommen – obwohl er nicht jeden im Premierenpublikum des Gärtnerplatztheaters mit seinen in eine unglaublich starke Bilder- und Bewegungssprache verpackten Visionen rund um das Sujet „Troja“ auf Anhieb überzeugt haben dürfte.

Dramatische Gedankensplitter

Vieles in seiner Kreation ist auf Archaik und Martialisches ausgelegt. Damit wird aber keine lineare Geschichte wie in Euripides’ dramatischer Vorlage erzählt. Vielmehr werden Gedankensplitter daraus und darüber heraufbeschworen. Sich darauf eineinhalb Stunden einzulassen, mag schwerfallen. Der neue Abend ist dennoch ein Coup – allein schon wegen des großartigen Eingangstableaus: 14 Tänzer*innen bewegen sich da gleich Karyatiden exakt austariert unter einem lichten Tempeldachgerüst. Foniadakis Zeitreise zurück in die mythologische Ära seiner griechischen Heimat beginnt mit kleinen Schritten, Drehungen um die eigene Achse und weichen Schwüngen der Arme. Vor dem Chaos allgemeiner Zerstörungswut und individueller Pein wird das Beherrschen totaler Kontrolle zelebriert – bis so etwas wie ein Beben die Architektur zum Einsturz bringt.

Zu knirschender Elektroakustik mit dumpfen Einschlägen (Julien Tarride, der auch für die eingesprochenen Texte verantwortlich zeichnet) steigern sich die steif aufgerichteten Körper langsam in ein immer eckigeres Stampfen und Marschieren. Irgendwann sackt alles zu Boden. Die Interpret*innen schnallen sich vom Dachfirst ab, den sie – nun frei, sich unabhängig von den anderen überall hin zu bewegen – weiter gemeinsam über ihren Köpfen zu tragen versuchen. Vergebens. Der Friede ist dahin.

Seitlich senken sich dicke Festungsmauern ab. Dazwischen schieben sich am Boden dreieckige Keile Richtung Bühne, die am Ende noch einmal anders zum Einsatz kommen: als verspiegelte Bruchteile einer Stadt in Ruinen, über die Flammen lodern. Davor begegnen sich ein Mann und eine Frau in einem langen Duett, das in einem finalen gewaltsamen Liebesakt gipfelt. Man könnte die Tanzproduktion mit Edward Munchs Gemälde „Der Schrei“ vergleichen – so seltsam krude ist sie in ihrer Essenz. Mittendrin tritt, begleitet von sonorem Windrauschen, eine Tänzerin auf. Dicke Seile hängen über ihren ausgebreiteten Armen. Wild züngelt sie mit der Zunge. Ihre Lippen formen sich stumm zu Worten. Einige Männer eilen herbei. Sie fesseln einen Gefallenen und ziehen dessen verschnürten Körper gnadenlos hinter sich her. Aus dem Off ertönt eine weibliche Stimme: „In the shadow of Troy, a voice rings true. Cassandra speaks, but they ignore her view …“

Choreografisches Mahnmal

Andonis Foniadakis‘ „Troja“ will weder gefällig noch bequem sein. Trotzdem besticht sein Ballettwerk ästhetisch. Das Bühnenbild setzt sich aus wenigen klaren Elementen zusammen und ist szenisch so imposant wie wandelbar – mitunter dank einer subtilen Lichtregie (Sakis Birbilis). Schlicht und dennoch symbolisch verspielt in ihrer farbigen Detailliertheit sind die Kostüme (Anastasios-Tassos Sofroniou). Lokalkolorit und zeitgenössischer Anstrich fusionieren in diesem Stück. Musikalisch ist es in eine raumfüllende, akustisch eindrückliche Klanglandschaft eingebettet. Dabei verbindet sich – mal das grundtraurige Gefühl innerer Stimmungsleere, mal perkussiv die Dynamik von Kampfeslust schürend – das von dem französischen Komponisten Julien Tarride eigens kreierte Sounddesign mit Kompositionen von Arvo Pärt und Bryce Dessners „Lacrimae“, die das Orchester unter Michael Brandstätters Leitung passgenau filigran-bleiern live beisteuert.

Die Herausforderung bei diesem thematisch vom Choreografen selbstgewählten Werk erscheint gigantisch. Inhaltlich von Euripides antiker Tragödie „Die Troerinnen“ ausgehend hat Foniadakis mit der Münchner Gärtnerplatz-Kompanie unter Aussparung einer charakterlicher Zuordenbarkeit der interagierenden Figuren ein dezidiert tanztheaterartiges Gruppenstück entwickelt, das im Nachgang der verheerenden Katastrophe des Trojanischen Kriegs verortet ist, den Foniadakis in seiner abstrakt-fragmentarischen Herangehensweise wiederum sinnbildlich als Mahnmal für die bewaffneten Konflikte aller Zeiten unter uns Menschen einsetzt. Die einzige eindeutig skizzierte Person bleibt Astyanax, Andromaches Sohn, der von einer Mauerstufe im Hintergrund in den Tod gestoßen wird. 

An der Absurdität grausamen Leids, verursacht durch kriegerische Auseinandersetzungen, hat sich seit Euripides՚ dramatischem Frauenstück kaum etwas geändert. Unheimlich reich an momenthaften Assoziationen haftet „Troja“ somit etwas Traumatisierendes an. Beharrlich wiederholen sich Szenen voller Schmerz und Verzweiflung. Zwar finden die Tänzerinnen und Tänzer stellenweise zu Formationen zusammen, die folkloretanzartig kurz eine Art Zusammengehörigkeit heraufbeschwören. Dann wieder brechen die Akteure zusammen, greifen nacheinander, helfen sich oder ringen sich gegenseitig nieder. Die Geschlechter verschwimmen – und ebenso, wer Opfer ist, wer Täter. Alles in „Troja“ dreht sich fast ausnahmslos um die Erschütterung jeglicher Normalität, um Erniedrigung, Vergewaltigung und Vernichtung alles Feindlichen. 

Schonungsloser Totaleinsatz

Aber die griechische Tragödie im 5. Jahrhundert v. Chr. sollte auch nicht nur bloß „ansprechend“ oder „überwältigend“ sein, sondern einer „Katharsis“ der Zuschauer dienen. Genau in diese Tradition stellt sich Foniadakis mit seinem Ballett „Troja“ – als moderner, assoziativ wirkender Neuinterpretation des antiken Mythos. Den Sieg tragen letztlich die famosen Tänzerinnen und Tänzer davon. Mit ihrem schonungslosen Totaleinsatz sind sie – wiederholt solistisch und oft im Kollektiv – die eigentlichen Helden dieses choreografischen Abenteuers.

Wenn zum Schluss die an den blauen Trikots aufgenähten Quasten bei jeder Schlängelbewegung ihrer Oberkörper mitschwingen, wirkt das plötzlich, als ob da nicht eine Gruppe Menschen tanzt, sondern Wellen. Das wogende Meer wird zum Bild einer aufgewühlten Gemeinschaft. Wenig später verzieht dann wieder Schmerz ein Gesicht. Die Verzweiflung, schutzlos und ausgeliefert zu sein, lässt eine Interpretin dermaßen zusammenklappen, dass ihre Ellbogen und Unterarme lautstark auf den Boden krachen. Sie mutiert sie zur kaputten, in sich verhedderten Marionette – nur, dass bei Foniadakis nie etwas hölzern über die Rampe kommt. Sogar zerschunden und dem Tode geweiht strahlen in „Troja“ die einer ständigen emotionalen Qual ausgesetzten Körper unglaubliche Kraft und Energie aus. Das macht diese Uraufführung so brachial wie verstörend schön.

 

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