Vielversprechender Auftakt
Mit „Renaissance“ präsentieren sich erstmals die Gauthier Dance Juniors
Seit einiger Zeit besteht in Deutschland eine erfreuliche Tendenz, Junior-Kompanien für Tänzer*innen zwischen 18 und 23 Jahren zu etablieren: 2010 gründete sich das Bundesjugendballett in Hamburg unter der Leitung von John Neumeier mit 8 Mitgliedern zwischen 18 und 23 Jahren. Zur gleichen Zeit entstand das Bayerische Junior Ballett München mit 16 Tänzer*innen zwischen 17 und 21 Jahren als innovative Partnerschaft zwischen dem Bayerischen Staatsballett, der Ballett-Akademie der Hochschule für Musik und Theater München und der Heinz-Bosl-Stiftung (die Leitung hat Ivan Liška). Jetzt kamen in Stuttgart die Gauthier Dance Juniors hinzu.
Gauthier Dance ist – wie die meisten Ballett-Ensembles – finanziell nicht auf Rosen gebettet, und Eric Gauthier, Gründer und Chef der Truppe, muss sich seinen Etat immer wieder hart erkämpfen und Sponsoren einwerben. Warum also jetzt auch noch eine Junior-Kompanie? „Alle großen Ensembles suchen Tänzer*innen mit Erfahrung“, sagt Eric Gauthier. „Nur: Wie soll man die kriegen, wenn man nicht tanzt? Deshalb haben wir jetzt die ‚Juniors‘ gegründet. Das sind bereits voll ausgebildete Profis, sie trainieren auch mit den anderen, aber sie haben eigene Aufgaben.“ Eine der wichtigsten ist, das Interesse der jungen Generation für den Tanz zu wecken. Eric Gauthier macht das jetzt zweigleisig.
Da ist zum einen das Projekt „Moves for Future“, mit dem der gebürtige Kanadier, früher Tänzer beim Stuttgarter Ballett und ein begnadeter Conférencier, seit anderthalb Jahren durch die Schulen in Baden-Württemberg tourt. Mittlerweile hat er zusammen mit zuerst vier, dann sechs jungen Tänzer*innen bereits über 15.000 Kinder und Jugendliche für den Tanz begeistert (Schirmherr des Projekts ist übrigens Fußball-Star Jürgen Klinsmann). 150.000 Euro lässt die Stadt Stuttgart dafür springen – für die Schulen ist das Projekt kostenlos. Ob und wie es danach weitergeht, ist allerdings (mal wieder) noch unsicher.
Und da ist das Bühnen-Programm „Renaissance“ für die neu gegründeten Gauthier Dance Juniors, das jetzt in Stuttgart aus der Taufe gehoben wurde. Der Titel ist eine Anspielung auf die Ursprünge von Gauthier Dance: Die Juniors sind gewissermaßen eine Wiedergeburt dieser Kompanie, die vor 16 Jahren in derselben Halle (der T3 im Theaterhaus mit 300 Plätzen) mit ebenfalls sechs Tänzer*innen das Licht der Welt erblickt hat. Damals waren viele skeptisch, ob sich in der schwäbischen Metropole neben dem weltberühmten Stuttgarter Ballett eine zweite, moderne Kompanie etablieren ließe. Aber schon bald schwiegen die kritischen Stimmen: Gauthier Dance ist inzwischen eine Kompanie von Weltruf mit Gastspielen ‚all over the world‘. Wie beliebt Gauthiers Arbeit in Stuttgart inzwischen ist, zeigt sich schon daran, dass sämtliche 14 Vorstellungen der Juniors im Januar und April innerhalb kürzester Zeit ausverkauft waren, weshalb man, so sagt er selbst, „in der nächsten Spielzeit in eine größere Halle umziehen“ wird.
Dass das Publikum so aus dem Häuschen gerät, ist kein Wunder: Die sechs jungen Tänzer*innen geben alles, und das dramaturgisch gekonnt aufgebaute Programm ist ausgesprochen abwechslungsreich: Drei Uraufführungen plus drei schon bestehende Choreografien plus ein Kurzfilm. Vorgeschaltet vor jedem Auftritt ist ein Video, in dem die Tänzer*innen einzeln vorgestellt werden – eine schöne Geste. Es sind berührend-ehrliche Aussagen, die da zusammenkommen und den Zuschauer*innen das Ensemble näherbringen.
Nach dem Aufwärmen auf offener Bühne steht „Sara“ von Sharon Eyal am Anfang. Ein minimalistisches Stück, düster in schwarzen Latex-Ganzkörpertrikots auf einer nur schemenhaft beleuchteten Bühne getanzt. Eine Frau steht abseits der anderen fünf, und sie bleibt auch außen vor. Es gelingt ihr nicht, sich wirklich mit den anderen zu vereinen, und doch besteht eine Verbindung, gibt es Gemeinsamkeiten. Ayda Frances Güneri aus Istanbul (ausgebildet u.a. an der Ballettschule des Hamburg Ballett) verleiht dieser Einsamen so viel innere Wärme, aber auch Verlorenheit, dass es einem schier das Herz bricht.
Danach folgt „Umbra Penumbra“ von Rena Butler, ein fulminanter Pas de deux für eine Frau (Rebecca Amoroso aus Italien, ausgebildet am Pôle National Supérieur de Danse von Rosella Hightower in Cannes) und einen Mann (Rong Chang aus Taiwan, ausgebildet an der Dance School der Taipei National Universität of the Arts und an der Rambert School of Ballet and Contemporary Dance in London). Und da man in dem vorgeschalteten Video erfahren hat, dass ein Lehrer einmal zu diesem hochbegabten jungen Mann gesagt hat: „Du wirst nie ein Tänzer sein“, dann weiß man, wie viel Willen dazu gehört, dieser Vorhersage die Stirn zu bieten. Wenn man außerdem weiß, wie schwer es Rebecca Amoroso aufgrund ihrer Körpergröße von 178 cm hatte, die eigenen Qualitäten zu erkennen („die Großen nach hinten“ hieß es für sie im Training und auf der Bühne meistens), ermutigt vor allem durch einen Satz ihrer Großmutter, den sie nie vergessen hat: „Du besitzt eine innere Eleganz“, dann wird verständlich, warum die beiden diese schwierige Annäherung zwischen zwei Fremden, die aus lauerndem Argwohn und ängstlicher Abwehr schließlich in neugieriger Vertrautheit mündet, so vollendet zu interpretieren wissen.
Ein eher amüsantes Spektakel ist dann Barak Marshalls „At the River Styx“, bei dem sechs Seelen ihren Frieden mit dem Tod machen. Eine kuriose Rolle spielt dabei eine Fahrradpumpe, mit der den Toten kurzfristig wieder Leben eingehaucht wird, damit sie ihr Vermächtnis in Worten preisgeben können. Das ist ebenso anrührend wie komisch.
Einen aufregenden Kontrast dazu bildet der Pas de deux „Midnight Raga“ für zwei Männer von Marco Goecke, getanzt von Stefano Galleli aus Toronto (ausgebildet bei der Elite Danceworx Tanzschule und an der Glorya Kaufman School of Dance an der University of Southern California) und Joan Jansana Escobedo aus Barcelona (ausgebildet im Ballet Ruso Barcelona und an der Yerakhavets Ballet Academy mit einem Abschluss in klassischem Tanz am Conservatori Professional de Dansa Institut del Teatre). Es ist Eric Gauthier hoch anzurechnen, dass er gerade ein Stück von diesem in Ungnade gefallenen großartigen Choreografen mit ins Programm genommen hat – können die beiden Tänzer in dieser höchst anspruchsvollen Choreografie doch all ihr Können entfalten.
Wie ein Intermezzo vor dem Höhepunkt folgt mit „Grand Voyage“ ein Kurzfilm von Eric Gauthier für Mathilde Roberge aus Toronto (ausgebildet an der National Ballet School of Canada) – inhaltlich allerdings der schwächste Beitrag an diesem Abend. Man fragt sich immer wieder, warum das ein Film sein muss und auf welche Reise die begabte Mathilde im orangefarbenen Overall da geschickt wird.
Der absolute Knaller des Abends ist dann jedoch „Bolero“ zur gleichnamigen Musik von Maurice Ravel von Andonis Foniadakis für fünf Tänzer*innen (Mathilde Roberge bleibt als Ersatz, falls jemand ausfällt …) in neonbunten Kostümen (von Anastasios Sofroniou). Getanzt wird nicht auf dem Boden, sondern auf kleinen Trampolinen. Das erfordert höchste Konzentration, maximale Körperbeherrschung und einen gleichermaßen ausgeprägten Sinn für Synchronität. Die Juniors bestehen diese Kraftprobe mit Bravour und reißen das Publikum zu Standing Ovations hin.
Ein vielversprechender Auftakt für ein junges Ensemble, von dem man hoffentlich noch viel hören und sehen wird.
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