Goecke geht nach Basel
Marco Goecke folgt dort planmäßig auf Adolphe Binder
Der Tanz kennt keinen Fachkräftemangel. Für fast alle jungen Tänzer*innen, die gerade ihre Ausbildung absolviert haben, ist es oft ein ernüchternder Prozess, ihren Weg von der Schule in eine Anstellung zu finden. Die Konkurrenz ist riesig, die Reisen zu Auditions kostspielig, und nicht selten wird auch bereits Erfahrung vorausgesetzt, die sie noch nicht bieten können.
Eine neue Initiative mit dem Titel Mind the Gap hat sich zum Ziel gesetzt, eine Brücke für diese Phase des Übergangs zwischen Ausbildung und professionellem Engagement zu bauen. Angesiedelt ist sie bei „Tanz und Kunst Königsfelden“ in Baden, unweit von Zürich. Der Künstlerische Leiter Filipe Portugal, früherer langjähriger Erster Solist beim Ballett Zürich, darf gemeinsam mit seiner Stellvertreterin Salomé Martins auf ein erfolgreiches Ende der „Edition I“ dieser Pre-Professional Summer Academy zurückblicken. Beide haben das Konzept erarbeitet, dessen Umsetzung ohne viele Geldgeber und Förderer nicht denkbar wäre (es wird keine Teilnahmegebühr erhoben, Kost und Logis sind inbegriffen). Mit Überzeugung unterstützt werden sie auch von einer Schirmherrschaft, der u.a. Kathleen McNurney, Präsidentin von Danse Suisse, und Jason Beechey, Head of Dance an der Zürcher Hochschule der Künste, angehören.
Reality Check
Matilde Brito, Carlota Fijo, Nikita Gacinovic, Alexei Gherghelejiu, Roman Ho Zimbalatti, Afonso Nunes, Lucrezia Panza, Roman Pascoli, Luce Ragusa, Carmelia Steiner und Ashley Tsuyu Burks: Den elf Teilnehmer*innen acht verschiedener Nationalitäten, ausgebildet an acht verschiedenen Schulen, wurde im Residenzzentrum tanz+ Baden über die vergangenen fünf Wochen hinweg der Alltag vermittelt, der sie in einer professionellen Compagnie erwartet. Arbeitszeit von Montag bis Samstag; nach morgendlichem Training am restlichen Tag Proben für drei verschiedene Stücke. Für diese am Ende des Programms auf Bühnen in Baden und Chur präsentierten Werke – „Blushing“ von Marco Goecke, sowie zwei für sie kreierte Werke von Maša Kolar (Direktorin des Balletts am Kroatischen Nationaltheater) und von Filipe Portugal – wurden jeweils alle besetzt. So mussten sie parallel unterschiedliche Bewegungssprachen erlernen, auch das eine Einstimmung auf die Realität des Berufs, der oft stete Wechsel zwischen Stücken verschiedener Stilrichtungen vorgibt.
Freudige Resonanz
Die Auswahl der Teilnehmenden im Alter von 17-24 Jahren erfolgte u.a. nach einem Aufruf an viele Ausbildungsstätten. Die weiteste Anreise hatte Roman Ho Zimbalatti, frischgebackener Absolvent von Canada's National Ballet School. Mavis Staines hatte ihn im letzten Jahr ihrer Leitung der renommierten Schule in Toronto zur Bewerbung ermutigt, „weil er unermüdlich und begeistert lernt und sicher mit seiner Aufgeschlossenheit diese neue Initiative bereichert“. Der 18-Jährige fasst seine Erfahrung als „großartig“ zusammen: „Es macht etwas aus, dass dieses Sommerprogramm deutlich länger geht als andere. Ich fühle mich jetzt besser aufgestellt als vorher.“
Filipe Portugal, Salomé Martins, Maša Kolar und Nicole Kohlmann, die Marco Goeckes Stück einstudiert hat, teilen die Freude darüber, wieviel es ihnen bedeutet hat, die jungen Menschen fünf Wochen in ihrer künstlerischen und persönlichen Entwicklung begleitet zu haben.
In einem Stück von Marco Goecke tanzen zu dürfen, ist ein Geschenk für junge Tänzer*innen. Nicole Kohlmann hat ihnen in den letzten Wochen in den Proben für „Blushing“ die Welt von Goeckes Bewegungsvokabular erschlossen, in das sie sich auf beachtliche Weise hineingefunden haben. Bei der Premiere im Kurtheater Baden stellen sie dies unter Beweis; rasant und präzise setzen sie die charakteristischen, immer wieder verblüffenden und humorvollen Akzente, die dieses 2003 kreierte Werk ausmachen.
In der sehr gelungenen und berührenden neuen Kreation von Filipe Portugal „Quiet.ude“ zu Musik von Philip Glass schalten die elf nach einer kurzen Pause auf eine ganz andere Bewegungssprache um; drei der Damen tanzen auf Spitze. Wunderbar schaffen es alle, den Fluss der komplex gearbeiteten Choreografie mühelos erscheinen zu lassen und bringen ihre bestechende Klarheit und raffinierte Finesse zum Ausdruck.
Mind the Gap-Preis
Maša Kolars neues Stück „Divine Creatures“ zu Ravels „Bolero“ ist ein mitreißendes Fest. Es sind einfach göttliche Kreaturen, die hier teils genial am Boden ineinander verschmelzen und sich in immer steigernder Geschwindigkeit mit Keckheit und Stolz begegnen. Ihre Choreografie scheint wie ein getanzter Inbegriff von Wachstum, Kraft und Gemeinschaft – welch ein passender Abschluss.
Im Publikum sitzt auch eine fast 20-köpfige Jury, die den 18-jährigen Afonso Nunes (Absolvent PNSD Rosella Hightower in Cannes) für den ersten, mit CHF 1000 dotierten, „Mind the Gap-Preis“ auswählt, den ihm Alt-Bundesrätin Doris Leuthard überreicht. Fast ist es ein bisschen schade, dass hier kurz eine Einzelleistung im Fokus steht, aber schnell gilt der anhaltende Beifall wieder der ganzen Gruppe, deren enger Zusammenhalt berührend spürbar ist.
Ihnen allen wurde in fünf Wochen professionell und liebevoll eine Erfahrung geboten, die intensiv, herausfordernd und ungemein bereichernd war. Sie dürfen beschenkt mit einem besonderen Bonus für ihren Karriereeinstieg von dannen ziehen, für den die Daumen fest gedrückt seien.
Und man darf „Mind the Gap – Edition II“ wohl bereits jetzt mit der Zuversicht entgegenschauen, dass diese Pre-Professional Summer Academy sich fest etablieren und große Nachfrage erfahren wird.
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