Neuer Direktor für das Leipziger Ballett
Rémy Fichet übernimmt das Ensemble ab der Saison 2024/25
„Romeo und Julia“ als Doppelschlag in Halle und in Leipzig an einem Wochenende
„Romeo und Julia“ ist die berühmteste Liebesgeschichte der Welt und als Ballett mit der Musik von Sergej S. Prokofjew einer der Dauerbrenner auch auf den Tanzbühnen. An diesem Wochenende haben nun gleich zwei benachbarte Balletkompanien – an den Bühnen Halle und an der Oper Leipzig – sich an den Klassiker in choreografischen Uraufführungen herangewagt. In Halle inszeniert Michael Sedláček, Künstlerischer Leiter der Company, der zuletzt vor allem ganz eigene Kreationen für sein Publikum erarbeitet hat und selbst einstmals den Romeo getanzt hat. In Leipzig eröffnet der neue Künstlerische Leiter Remy Fichet seine erste Spielzeit und übergibt dafür an die Choreografin Lauren Lovette aus New York. Sie hat dort lange Jahre am New York City Ballett getanzt, zuletzt als Primaballerina, und ist 2021 ins Fach der Choreografie gewechselt. Die Leipziger Version von „Romeo und Julia“ ist ihr Choreografie-Debüt in Europa.
Modezirkus und Theateratmosphäre
Den Start machen die Hallenser. Sie verlegen die Geschichte um die verstrittenen Capulets und Montagues in die Welt der Mode. Die Bühne von Hynek Dřízhal ist in Sichtbetonoptik verkleidet, im Hintergrund über eine Art Freitreppe zu erreichen ist ein kleines Zimmerchen (das Reich von Lorenzo), in dem edle Phiolen vor sich hin glänzen. Rechts und links gibt es zwei große eiserne Tore, deren Stanzmuster auch für kleine Lichteffekte eingesetzt werden. Zudem hängt von der Bühnendecke eine runde Fransenkonstruktion, die an Kronleuchter denken lässt. Hinzu kommen glänzende Schaufensterpuppen auf rollenden Gestellen, die immer wieder mit Kostümkreationen von Olo Křižová die Bühne neu bevölkern und große abstrakte Projektionen.
Auf der Treppe sitzt zu Beginn Romeo (Johan Plaitano), einigermaßen niedergeschlagen, doch schon bald bevölkert das Ensemble die Szene, die Puppen werden herumgeschoben, und es kommt zum ersten Showdown mit Tybalt (Patrick Michael Doe), der hier eine Art ruppiger Türsteher und Mann für’s Grobe ist. Ganz in Schwarz, mit Lederriemen, Messer, Schlagring und später gar einer Pistole. Die Kampfchoreografie kann sich sehen lassen, gekonnt und virtuos gleiten die Kämpfenden umeinander herum, und die drei Montagues mit Romeo, Mercutio und Benvolio haben ihren ersten gemeinsamen Auftritt.
In Leipzig formieren sich die drei auf der Rückseite des Theaters und sind gleich von Anfang an mit dem gesamten Ensemble auf der Bühne, das hier sogar ganz neoklassische Spitze tanzen darf. Gleich von Beginn setzt Lovette auch auf Pirouetten und feine Ballettbewegungen, während stärker auf Kraft und Direktheit gegenüber den eher verspielten Grundbewegungen in Leipzig. Lovette verlegt die gesamte Handlung in den Theaterraum, sogar die ikonischen Lampen aus den Fluren des Opernhauses finden sich auf der Bühne von Thomas Mika wieder, der auch die Kostüme gestaltet hat. Zugleich lässt das Eröffnungsbild unwillkürlich an „West Side Story“ oder „A Chorus Line“ denken, wenn das Ensemble vor naturalistichem Rauputz so langsam in Fahrt kommt und auch das Dreier-Gespann um Romeo noch einmal seine Signature-Moves durchprobt. Die erste Kampfszene ist ähnlich kraftvoll wie Halle, allerdings sind die Waffen offensichtlich Schaumstoffschläger, was ihnen das Gewalttätige nimmt.
Große und widerstreitende Gefühle
Ansonsten halten sich beide fast schon brav an die Tragödie. In Halle wird lediglich Tybalt seine Bruderschaft entzogen, so dass sein Tod Julia emotional nur wenig anhaben kann und sie sich in der Balkonszene (zu der die runde Fadenkonstruktion wie ein Baldachin gegen den Bühnenboden schwebt) ganz der Liebe hingeben kann. In Leipzig ersticht Romeo nicht nur Tybalt, sondern kurz vor Schluss auch noch Paris, der sehr verführerisch aber erfolglos um Julia geworben hat. Etwa blass gerät in beiden Ansätzen die große Ballszene mit dem musikalisch berühmten „Tanz der Ritter“, zumal in Leipzig das Erkennen von Romeo und Julia geradezu nachgelagert wird, während in Halle diese Szenen ineinander übergehen.
Wunderbar herrisch sind in beiden Varianten die Mutter als resolute mater familias, getanzt von Markéta Jedličková (Halle) und Ester Ferrini (Leipzig). Auch die klassisch als Amme beschriebene Rolle, getanzt von Laura Busquets Garro (Halle) und Madoka Ishikawa (Leipzig) gerät in beiden Variationen eher zu einer guten Freundin Julias mit klaren Sympathien für Mercutio. Dieser ist einer der größten Trümpfe der Hallenser Inszenierung. Haruto Goto tanzt ihn als charmanten Witzbold, der noch in seinem Todesmoment den Harlekin gibt und den längsten Bühnentod von allen. Denn in Halle dominiert eben nicht die tiefe Trauer, sondern komödiantische Elemente sind hier in den Nebenfiguren klar ausgearbeitet.
Die Leipziger hingegen setzen gerade in den Hauptrollen (und hier besonders in der Julia) auf eine genau gearbeitete Psychologie der Figuren. Im Spiel mit Romeo gibt sie klar den Ton an, weist zurück, neckt, flirtet und ist später geradezu zerrissen von der Trauer um den Bruder und der Liebe zu Romeo. Soojeong Choi gelingt hier das ausdrucksstarke Meisterstück einer sehr differenzierten Julia. Andrea Carino als fast schon schüchterner Romeo muss darauf oft nur noch reagieren und macht dies meisterlich. So gelingen den Beiden einige äußerst zärtliche Momente. In Halle steht hingegen Romeo (Johan Plaitano) im Vordergrund. Er lässt seine Julia (Yuliya Gerbyna) buchstäblich schweben. Fast die gesamte Balkonszene, bei der er sie aus einer Aufbaute auf der Vorderbühne heraushebt, trägt er die Verliebte auf den Händen, wirbelt mit ihr herum. Ihrer beider Liebe ist die pure Euphorie, sie tanzen im siebten Himmel, und nichts kann ihre Stimmung trüben – umso stärker ist dann der Aufprall, wenn erst Romeo den Rest der Phiole austrinkt und Julia sich mit der Glasspitze des Deckels erdolcht. In Leipzig kommt da profan ein Messer zum Einsatz, und tatsächlich ist hier die Motivation Julias, den Schlaftrunk zu nehmen, etwas undurchsichtiger.
Kampf und Liebe
So zeigt Leipzig vor allem eine „Julia“ und Halle einen „Romeo“. Ob es daran liegt, dass je ein Choreograf und eine Choreografin die Arbeit geleitet haben? Auf all zu starke Aktualisierungen verzichten hingegen beide, setzen aber einen starken Fokus auf die Konfrontationsszenen. Musikalisch liefern sowohl die Staatskapelle Halle unter José Miguel Esandi und das Gewandhausorchester unter Anna Skryleva eine sehr gute Leistung.
Die Band Kettcar sang einst „Vergiss Romeo und Julia / Wann gibt’s Abendbrot / Willst du wirklich tauschen? / Am Ende sind sie tot.“ Tot sind sie auch hier, vergessen aber sind sie in Halle und Leipzig nicht. Zwei sehenswerte Inszenierungen halten sie in Erinnerung, mahnen friedvollen Umgang an. Es sind zwei Interpretationen, die zwar zeitgemäß und modern sind, aber inhaltlich den Stoff auch nicht vorantreiben wollen. Das müssen dann vielleicht andere liefern.
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