„Shame“ von Cooperativa Maura Morales, Tanz: Kira Metzler, Giulia Russo, Einav Berkovich, Martha Gardner

Die Schlampe im kurzen Rock

„Shame“ von Cooperativa Maura Morales im Theater im Pumpenhaus Münster

Scham ist hier weiblich und körperlich. Und der Mann ist der Depp, dem man auf die Finger hauen muss. Immer noch? Scham betrifft uns doch alle.

Münster, 14/10/2024

Flirty, cheeky, provocative, slut: Ein Videosegment in der neuen Arbeit „Shame“ von Maura Morales kommt mit vier deutlichen Wörtern um die Ecke. Geschrieben sind sie auf den nackten Oberschenkel einer Frau. Klar ist: Damit markieren sie mögliche Längen eines Rocks. How dare she?!

Das zeigt, was Morales unter dem Begriff Scham versteht: Es ist die weibliche, definiert und ausgelöst durch den male gaze. Er ist es, der diese Scham auslöst, der unbarmherzige, (ver)urteilende Blick des Mannes. Einem Scanner kommt dieser Blick gleich. Deshalb bewegt sich in einem Video zu Beginn der Performance eine leuchtende rote Linie über die Hautoberfläche eines weiblichen Körpers. Bloßgestellt. Zum Objekt reduziert.

Dieser Ansatz findet sich auch auf der Bühne. Eine Performerin präsentiert dem Publikum breitbeinig ihre Kehrseite, geht in den Spagat. Ihre Scham ist durch das weiße Kostüm gerade so bedeckt. Unbarmherzig also auch dieser freiwillige Akt, lasziv und offen. Das Publikum wird gezwungen, hinzuschauen. Hat zwar niemand drum gebeten, aber sei's drum. Schlussendlich hat man sich ja über die Konventionen des Theaters genau darauf geeinigt: auf den voyeuristischen Akt. Deshalb ist das Publikum da. Also, nur keine falsche Scheu!

Scham ist genuin menschlich

Ist Morales eine Feministin? Ja. Ihr Cast ist wie so oft rein weiblich. Morales‘ Blick: immer ein deutlich weiblicher. Auch Scham ist hier weiblich, und vor allem ist sie körperlich. Besonders der weibliche Körper, so die Informationen im Programmzettel, sei dem Shaming ausgesetzt. Stimmt ja. Nur ist das nicht die komplette Geschichte. Was ist mit dem männlichen Körper? Der windet sich genauso permanent unter (ver)urteilenden Blicken. Dichotomien der Geschlechter sind aber eben so gemütlich. Das wünscht man sich dann doch offener gedacht.

Die Brüste der vier Performerinnen sind abgeklebt. Zensur. Damit das mal klar ist. Oder ist das doch ein Fashion Statement? Uneindeutigkeit, Gratwanderung. Das funktioniert. Simple Bearbeitungen des Themas Scham liefert Morales nämlich trotzdem nicht. Die schneeweißen Kostüme haben nichts mit etwaiger Unschuld oder Unbeflecktheit am Hut. Diese vier Performerinnen sind toughe Ladys, die ihrer ganz eigenen Scham offen entgegentreten. Morales gibt ihnen dafür sehr körperlichen Ausdruck an die Hand, fast schon aktionistisch. Diese Frauen können laut und wild sein. Sie können genauso posen wie sich auch zugeknöpft geben. Das Livesampling von Michio Woirgardt liefert den Frauen die passenden Beats, angesiedelt zwischen stiller Sanftheit und lauter Kraft. 

Bei aller Verletzbarkeit sind diese Frauen eigentlich sich selbst genug. Miteinander, gegenseitiges Empowerment. Da wird Verschwesterung geübt, als hieße das Rettung oder sogar Befreiung von Scham. 

Ganz am Ende, in einem tableau vivant, zeigen sie, wo der Bartel den Most holt. Scham? Klar. Stellt aber kein Problem dar. Sondern wird integriert: Die Brüste sind befreit von Klebebändern. Ein ganz ruhiger Blick ins Publikum, also die Umkehr dessen, was bisher galt. Klarer, sicherer Blick. Die lassen sich nicht in die Suppe spucken. Von niemandem. Und vor allem: von keinem.

 

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