Impressionen aus der Agora

Wermut um halb elf

Geschichten, Deals und Alkohol: Eindrücke von der tanzmesse 2024

Taumeln über die Agora führt zu vielen Eindrücken und einem vollen Magen - subjektive Beobachtungen von der Tanzmesse in Düsseldorf.

Düsseldorf, 31/08/2024

Tanzmesse, das heißt Gespräche und Schauen, neue Gesichter und alte Bekannte und eine Wundertüte von kleinen und großen Tanzperformances. Auf der großen Agora hinter dem Hauptbahnhof herrscht schon um 10 Uhr morgens ein babylonisches Stimmengewirr, wobei englisch in den verschiedensten Akzenten klar überwiegt. Es ist wie eine Weltreise. Dürfen es Informationen zum Perfomance Festival in Seoul sein oder doch lieber zur Baltischen Tanzplattform? Interesse an spanischem Tanz? An katalanischem, andalusischem, baskischem oder valencianischem? Die spanischen Regionen haben mit fünf Ständen mehr Fläche als die deutschen Bundesländer. Auch die nordischen Staaten sind stark vertreten, ebenso wie der asiatische Raum. Oder vielleicht doch lieber ein paar Informationen zu Austauschprogrammen wir Studiotrade oder gar einzelnen Companies? Ich versuche zu einem befreundeten Choreografen an den Stand zu gehen, doch er ist gerade im Gespräch mit einem Festivalkurator, vielleicht später.

Zur Messe gehören Wein und Whiskey

Mein erstes Date zieht mich zu den Katalanen, die zu einer 20-minütigen Quick-Session geladen haben. Druckbetankung mit allen notwendigen Informationen zu katalanischen Festivals, Strukturen und Häusern, und zum Abschluss gibt es Wermut und Kartoffelchips. Da ist es halb elf am Vormittag, und der Tag liegt noch vor einem. 

Die nächste Station ist eine Veranstaltung der tschechischen Corners. Es geht um Tanz im ländlichen Raum im großen Meeting Space. Rund fünfzig Teilnehmende üben einen tschechischen (oder slowakischen?) Reigentanz, der dann gemeinsam zu modernem Pop getanzt wird. „Wir sind zeitgenössisch!“ Die Gruppe spricht über die Situation des Tanzes in den verschiedenen Ländern, und schließlich wird mit Menschen und Holzstäbchen ein Tanzökotop gebaut. Klare Message: Wir sitzen alle im selben Boot und müssen zusammenhalten. Ich suche den Choreografen, er spricht mit zwei Italienerinnen.

Dafür haben die Spanier ihre Tapas und Wein ausgepackt – ein sehr brauchbarer Rioja. Die Iren präsentieren ihren Whiskey und die Schotten ihren Whisky. Die Stimmung ist gut und gelöst, wahrscheinlich werden jetzt die richtigen Deals gemacht. Der Taiwan-Stand hat bei seiner Infosession offenbar schicke Taschen unters Tanzvolk gebracht, und die polnischen Delegierten verteilen in ihren roten T-Shirts unermüdlich Fächer und Glückskeske mit Choreograf*innennamen. Ersten braucht es auch angesichts der Temperaturen. Um 14 Uhr dann Rauskehren, der Choreograf redet immer noch mit irgendwem, die Producerin hat aber noch eine Überraschung parat: Lemon-Wodka. Warum eigentlich nicht.

Alle zusammen für den Tanz

Der Nachmittag gehört dann den Verkaufsshows. In der Stadtbibliothek berichtet etwa die brasilianische Choreografin und Tänzerin Elisabete Finger von ihren plantophilen Performances und wie sie sich bei einer Kunstperformance im Museum der modernen Kunst bei einem befreundeten Künstler den Vorwurf der Pädophilie unter der stramm rechten Bolsonaro-Regierung einhandelte. Spannende Geschichte. Der Künstler lag Abramovic-Style nackt im Museum, und die Besuchenden konnten ihn manipulieren und seine Haltung verändern. Die Bilder von Mutter, Tochter und entblößtem Künstler reichten aus, um die rechtskonservativen Hetzer*innen losschlagen zu lassen. Jetzt sitzt sie in Berlin und sucht Unterstützung für eine Arbeit mit drei Frauen, die wegen Corona nicht zu einem vernünftigen Ende gebracht werden konnte. Am Ende gab es diesmal keinen Alkohol, vielmehr versuchten alle einen Platz in den Open Studios zu ergattern, während die tanznetz-Redaktion im tanzhaus ihrem Publikum Rede und Antwort stand und erklärte, warum es sich lohnt, das Online-Magazin auch finanziell zu unterstützen.

Um den Tanzjournalismus ging es auch am Samstag Mittag bei einer Veranstaltung des Vereins für Tanzjournalisten TANZ.media, wo ich auch Vorstandsmitglied bin. 90 Minuten ging es hoch her in diesem Fishbowl-Format mit dem Titel „The Image of Dance“. Es ging um Fragen zu Finanzierung, aber auch den Erwartungen an die Tanzkritik und warum manchmal Medien lieber den PR-Text nehmen als eine eigene journalistische Recherche. Den Tanzschaffenden, das wurde klar, ist ein funktionierender Tanzjournalismus wichtig, doch braucht es neue Formen, um die Inhalte zu kommunizieren. Das kommt ins tanznetz-Hausaufgabenheft. Aber als wichtigste Erfahrung bleibt, dass alle für den Tanz brennen und ihn voranbringen wollen. Davon gab die Tanzmesse ein vielfältiges Bild.

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