„Fatigateau“ von They Might Be Giants

Kopf hoch?

They Might Be Giants mit „Fatigateau“ in Bonn

Im Ballsaal konfrontiert sich die Junior Company They Might Be Giants in ihrer ersten eigenständigen Produktion mit dem Verhältnis von Einsamkeit, Technologisierung und Überwältigung.

Bonn, 30/06/2024

von Carlotta Ortinger

Sie verlieren den Verstand, können nicht länger aufrecht bleiben, versuchen, einander zu halten: Die Junior Company Bonn erkundet die vielschichtigen Dimensionen von Erschöpfung. Sie stehen in weißem, kühlem Licht. Wankend, kippend, jede*r für sich allein, der Blick geht geradeaus in verschiedene Richtungen. Nur eine Person geht schnellen Schrittes von einer zur anderen und hält die, die zu fallen drohen. Spannung liegt in der Luft: Gehen die Körper gleich zu Boden? Wie lange kann eine Person allein so viele auf den Beinen halten? Und dann stürzen die ersten.

Für ihre neue Produktion erarbeitete die 2013 gegründete Jugendcompany, eine Initiative der etablierten freien Gruppe CocoonDance, zum ersten Mal ein Stück in weitestgehend künstlerischer Eigenverantwortung. Die Tänzer*innen Emilia Lichte, Lola Kornbrust, Maris Pauka und Robin Nima Saffarian haben gemeinsam mit dem übrigen Ensemble selbst choreografiert. So rückt „Fatigateau“ die Perspektive der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 11 und 22 Jahren ins Zentrum. Begleitet von CocoonDance-Mitbegründerin Rafaële Giovanola und den Mentor*innen Fa-Hsuan Chen, Ada Sternberg und Marcus Bomski gelingt dabei ein bewegender Abend. Viele der Jugendlichen sind schon seit mehreren Jahren Teil der Bonner Company und produzieren jährlich ein Stück. Die Aktivitäten werden von Land und Bund gefördert.

Erschöpfte Köpfe

„Fatigateau“ erkundet tänzerisch ein Gefühl der Erschöpfung, das in einer Gesellschaft, die Funktionalität und Produktivität priorisiert, selten thematisiert wird. Umso wichtiger ist es, aus verkörperter Perspektive erfahrbar zu machen, dass dieses Phänomen eine kollektive Erscheinung ist – und dass die Einzelnen als Individuen damit eben letztlich doch nicht alleine sind.

Die Haltung der Köpfe wird in „Fatigateau“ zu einem wiederkehrenden Element: Immer wieder kippen sie zur Seite und werden mit den eigenen Händen aufgefangen. Das Kinn auf die Handfläche gestützt, richten die Tänzer*innen sich wieder auf. Scheinbar in einer Endlosschleife wiederholt sich diese Bewegung, sodass sich Überforderung in Anstrengung umwandelt.

Kostbar und fast unwirklich

Die Tänzer*innen suchen mit zuckenden Köpfen das Publikum ab, um nach kurzer Zeit wie mechanisch und nur in geraden Linien den Raum zu durchqueren. Ohne sich zu berühren und ohne einander zu registrieren, folgen sie einem Weg, deren Sinn und Ziel den Zuschauenden verborgen bleibt. Dann bleiben sie regungslos stehen.

Das Bild der Einsamkeit löst sich in einer Szene auf: In kleinen Gruppen sitzen alle auf dem Boden, die Knie an die Oberkörper gezogen, die Köpfe an die Schultern oder an die Rücken der anderen angelehnt. Ein kurzer, kostbarer und fast unwirklicher Moment der Gemeinschaft entsteht. Immer wieder bilden sich nun wechselnde Gruppierungen, werden neue Begegnungen gesucht, bis zuletzt eine Masse aus Körpern entsteht, die sich langsam wabernd auf allen Vieren fortbewegt. Das kühle Licht und der pulsierende Beat verschwinden dennoch nicht. Die Anstrengung bleibt.

 

 

 

Bewegungsmelder – Nachwuchswerkstatt für Tanzjournalismus aus NRW

 

Dieser Text entstand im Rahmen des Projekts „Bewegungsmelder – Nachwuchswerkstatt für Tanzjournalismus aus NRW“, einer Kooperation von tanznetz mit dem Masterstudiengang Tanzwissenschaft des Zentrums für Zeitgenössischen Tanz (ZZT) an der Hochschule für Musik und Tanz Köln und dem nrw landesbuero tanz.

 

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