„A Universal Hostility” von Carla Jordão mit dem Ensemble des Folkwang Tanzstudios

Anfeindung bis zur Abstrusität

„A Universal Hostility” von Carla Jordão mit dem Ensemble des Folkwang Tanzstudios an der Folkwang Universität der Künste Essen-Werden

Zerstörungswut und Egoismus, Angst und Melancholie: eine eindrucksvolle Erkundung der körperlichen und emotionalen Ebenen von Hass und Feindlichkeit

Essen, 27/05/2024

von Carlotta Ortinger

 

Ein Tänzer öffnet seinen Mund langsam zu einem stummen Schrei. Hinter ihm stehen dicht nebeneinander neun weitere Performer*innen. In Paarkonstellationen fangen sie an, miteinander zu kämpfen. In Zeitlupentempo rammen sie sich ihre Fäuste in Gesicht und Bauch, treten sich mit den Füßen. In der in dunkelblaues Licht getauchten Szene steht der vereinzelte Tänzer im Vordergrund. Langsam kommt er auf uns zu. Die Gewalt, wird hier deutlich, lauert hinter dem Rücken.

In diesem Moment der Langsamkeit eröffnet sich ein Assoziationsraum zu sinnloser, ins Nichts führender Gewalt in einer Welt, in der unzählige Kämpfe parallel ausgefochten werden. Dann plötzlich steigern sich Geschwindigkeit und Intensität der Auseinandersetzungen, bis die Körper sich gegenseitig zu Boden stoßen: Die zerstörerischen Absichten, der Wille, Andere leiden zu sehen und die Aggression gegeneinander lassen alle miteinander stürzen.

Gesellschaftliche Machtstrukturen

Mit „A Universal Hostility“ schließt Carla Jordão eine achtteilige Serie von Stücken ab, die sich seit 2019 mit Fragen gesellschaftlicher Machtstrukturen auseinandersetzen. Hierfür hat die in Köln lebende Choreografin mit wechselnden Tänzer*innen ihrer Kompanie Species zusammengearbeitet. Gemeinsam mit dem Ensemble des Folkwang Tanzstudios, einer internationalen Graduiertenkompanie, ist für die Premiere von „A Universal Hostility“ ein energetischer, eindrucksvoller Abend entstanden, der detailreich die Grenzen und Zusammenhänge zwischen Feindseligkeit, Absurdität und Melancholie auslotet.

Gerade in einer Zeit, in der immer mehr Demokratien von Krisen im Zusammenleben und von Tendenzen der Engstirnigkeit und des Widerwillens im sozialen Miteinander geprägt sind, ist die Auseinandersetzung mit den körperlichen Dimensionen von Hass ein wichtiges Thema. Im Stück kriecht die Anfeindung schleichend über den Bühnenboden. In körperlicher Anspannung erstarrt sie. Wie festgefahren werden streitsuchende Bewegungen in einer Endlosschleife wiederholt.

Die Frage nach der Autorität

„Hostility“ hat bei Carla Jordão viele Formen und Beweggründe – darunter Absurdität, Humor, Verzweiflung, Angst. Die Frage nach der Autorität in Situationen der Gewalt wird vielfach gestellt: durch einen Performer, der auf einem Stuhl steht und das Geschehen kommentiert, durch die gemeinsame Beobachtung mehrerer am Bühnenrand stehenden Tänzer*innen oder durch das schlichte Fehlen mächtiger Instanzen. Chaos und Kontrolllosigkeit werden zu einer kollektiven Wirkungskraft. Am Ende des Stückes erscheint die Macht in Gestalt und Kostüm eines Mannes im Anzug, der immer wieder seine Krawatte zurechtrückt. Seine Wut bettet Feindseligkeit in den Kontext einer Gesellschaft ein, in der das Kämpferische immer mit Egoismus verbunden ist.

Hass ist immer auch ziellos

Leise fängt ein Tänzer an, zu summen. Aus der Melodie entspinnt sich ein zartes Lied, das von Liebe und Krieg handelt. Nach und nach stimmen die anderen ein, dicht beieinander liegend, versunken in gemeinsamer Betrübnis. Dann verwandelt sich die Niedergeschlagenheit in Absurdität: Was als ein Schreien mit weit aufgerissenen Augen und Mündern, abstreitenden Armbewegungen und geballten Fäusten beginnt, wird zu Bewegungen voll hohlem Lachen, Komik und Albernheit, die wiederum in verzweifeltes Schluchzen umschlagen. Vereinzelt und für sich allein sitzen die Tänzer auf dem Boden. Hass, so wird gezeigt, ist immer auch ziellos.

Von starker Mimik und Gestik geprägt schafft die Choreografie einen Zugang zur emotionalen Dimension von Feindlichkeit. Über solistische und kollektive Momente werden dabei verkörperte Dimensionen von Hass und Zerstörungswut in ihrem sozialen Ausmaß beleuchtet.

 

Bewegungsmelder – Nachwuchswerkstatt für Tanzjournalismus aus NRW

 

Dieser Text entstand im Rahmen des Projekts „Bewegungsmelder – Nachwuchswerkstatt für Tanzjournalismus aus NRW“, einer Kooperation von tanznetz mit dem Masterstudiengang Tanzwissenschaft des Zentrums für Zeitgenössischen Tanz (ZZT) an der Hochschule für Musik und Tanz Köln und dem nrw landesbuero tanz.

 

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