Den Tanz hören
„Moving Out Loud“ von Britt Hatzius im EinTanzHaus Mannheim
Es war eine kleine, intime, selbstverständliche und doch bedeutsame Geste: Kevin O’Day, der frühere Mannheimer Ballettdirektor (2002 – 2016) strich seiner früheren Solistin Veronika Kornová-Cardizzaro die leicht zerzausten Haare aus der Stirn – beim Schlussbeifall zur Premiere von „The Goings-on“ im Mannheimer Eintanzhaus. Die ungewöhnlich große Tänzerin hat die Ära von Kevin O’Day und seiner Partnerin Dominique Dumais am Nationaltheater mitgeprägt.
Unzählige Male müssen Choreograf und Tänzerin früher im Probensaal miteinander gearbeitet haben, denn das Leitungspaar – beide selbst mit außergewöhnlichen Tanzkarrieren – waren auch im täglichen Training präsent. Nach seinem Weggang aus Mannheim hat O‘Day als Hauschoreograf in Würzburg und Karlsruhe gearbeitet. Hier begegnete er der zweiten Darstellerin des Abends: Alba Nadal, die fünf Jahre lang Solistin am Staatstheater im früheren Ensemble von Bridget Breiner war.
Deren Vorgängerin Birgit Keil hat die Tschechin Veronika Kornová-Cardizzaro nach Mannheim geholt – in die Akademie des Tanzes, in der die ehemalige Studierende heute zu den Lehrkräften zählt. Solche miteinander verwobenen Lebensringe und die Beobachtung, wie der Staffelstab des Wissens und Könnens im Tanz bruchlos weitergeben wird, haben Kevin O’Day zu dem berührenden Duo „The Goings-on“ animiert – produziert am Mannheimer Eintanzhaus.
Für den perlenden Klang des Lebens hat der Choreograf eine Musik mit Kultcharakter ausgesucht: „The Köln Concert“ des Jazz-Pianisten Keith Jarrett, vor ziemlich genau 50 Jahren erschienen und inzwischen die meistverkaufte Klaviereinspielung überhaupt. Wenn man das Leben als wohlvorbereitete Improvisation begreift, dann vermittelt dieses Stück das tröstliche Gefühl, dass die Aufs und Abs im Leben irgendwie stimmig weitergehen. Auch im Tanz ist das „Going-on“ buchstäblich mit Händen greifbar, wenn die beiden Tänzerinnen sich zur Not gegenseitig am Jackett des schwarzen Business-Hosenanzugs hochziehen, wenn die andere in Sachen Energie zu straucheln scheint.
Auch der Tanz scheint zu perlen – Kevin O‘Day setzt seine beiden Ballerinas erst auf Strümpfen, später auf Schläppchen in Szene, unspektakulär und neoklassich-elegant. Der erste Teil ist geprägt von vielen synchronen, manchmal zeitversetzten oder gespiegelten Sequenzen; im zweiten Teil dürfen die ungleichen Darstellerinnen individuelle Stärken ausspielen. Dabei schlägt der Choreograf aus der unterschiedlichen Ausstrahlung feinfühlig Kapital: Die hochgewachsene, blonde Veronika Kornová-Cardizzaro, jetzt im schwarzen langen Kleid, jeder Zoll ihres Körpers unter zeitlos-eleganter Kontrolle, kontrastiert wie gecastet mit der kleineren, dunklen Alba Nadal, einem ebenso eleganten Kraftpaket in schwarzem Trainings-Outfit.
Kevin O‘Day gilt als choreografische Tausendsassa, der vom Handlungsballett in Stuttgart bis zur Improvisation mit seinem eigenen Ensemble viele (gelegentlich vielleicht zu viele) künstlerische Felder abgedeckt hat; über 80 Ballette sind so entstanden. Aber es sind eher einige seiner kleinen, intimen, den Beteiligten sehr speziell auf die Füße geschneiderten Stücke, die das Zeug haben, sich hartnäckig im Gedächtnis einzuschreiben. „The Goings-On“ gehört auch dazu.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Bitte anmelden um Kommentare zu schreiben