„Drama Class“ von Nadav Zelner, Tanz: NRW Juniorballett

Nervöses Flattern

Mit „Dips“ feiert Dortmund 10 Jahre Juniorballett NRW

Entfremdung bei Zelner und Goecke, und Xin Peng Wang sucht versöhnenden Ausgleich. So einfach ist das aber nicht. Das zeigt auch die Musik von 48nord. Das Premierenpublikum hat's gefeiert.

Dortmund, 23/02/2025

Die große Kunst des Lesens heißt ja auch, einen Sinn in den Dingen zu finden, einen Sinn, der alles zusammenhält. Und das ging zur Premiere des dreiteiligen Abends „Dips“ ziemlich einfach. Dafür brauchte es auch gar nicht die Aufforderung Dorothee Fellers. Die Ministerin für Schule und Bildung in NRW machte mit ihrem Grußwort auch dem Letzten noch mal deutlich, dass es der Vorabend der Bundestagswahl war. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf liest sich der Abend wie der Schnappschuss einer Gesellschaft, die sich gerade mit sich selbst etwas unwohl fühlt. 

Zwar beruft sich der israelische Choreograf Nadav Zelner mit seiner Uraufführung „Drama Class“ auf persönliche traumatische Erfahrungen, lässt sie aber irgendwo jenseits der Bühne. Die Auswirkungen sind es schon eher, die Symptome, die sich Bahn brechen. Sein Ansatz aber ist mit nichts zu vergleichen, was man sonst so tänzerisch aus Israel kennt.

Maor Zabar hat das Juniorballett für „Drama Class“ in schwarze Kostüme gesteckt, die in individualisierten Designs wie gegossenes Latex wirken. Wülste winden sich um die Körper wie fremde Schlangen. Nur die Gesichter sind freigelassen, bei einigen Tänzer*innen nicht mal das.

Unter einem absurd riesigen Hut hockt eine Horde dieser allglatten Wesen, die mal wie exotische Ameisen, mal wie wilde Affen wirken. Menschlich, wenn überhaupt, nur in einigen, ganz kurzen Momenten. Chorale Gesänge suchen nach Harmonie, aber die entfremdet wirkenden Bewegungsmuster scheinen überhaupt nicht zu den Klängen passen zu wollen. Die Dissonanz ist offensichtlich. In einem diffusen Lichtraum macht sich kalte Nervosität breit. Viel passiert, aber nichts bewegt sich. Das ist ganz klar Konzept. Es ist ein Zustand dazwischen, in der Schwebe, der keine Entwicklung zeigt. Auch, wenn die Musik zu Geigenklängen hinüberwechselt, übersetzt sich diese Harmonie nicht auf die Bewegungen. Alles bleibt kalt; Angst scheint irgendwo ganz tief im Inneren zu liegen. Vereinzelte Versuche, ein Miteinander, Verbindungen zueinander zu finden, wirken grotesk und bleiben vergeblich, begleitet von scheinbar sinnbefreiten Lautäußerungen. 

Stuck in the moment

Dieser Zustand des stuck in the moment lässt sich wie ein Vorwort zu Marco Goeckes „Blushing“ lesen. 2003 hat er dafür den Prix Dom Pérignon bekommen. Und heute? Goecke hat schon damals Goecke gemacht, wenn vielleicht auch nicht ganz so energisch. Gealtert ist das Stück ausgezeichnet, nämlich gar nicht. Wie auch? Goeckes Konzepte sind immer vage lesbar und deshalb so frei für Interpretation. Lesen lassen sie sich immer wieder und immer wieder neu. Das lohnt sich natürlich auch hier. Alles ist schon da, was man von Goecke kennt. Die nackten Rücken, die schmal geschnittenen, dunklen Hosen und natürlich die flirrenden Arme und Hände. Wut mag man lesen in dieser Mischung aus irren Sounds, die ganz klar als akustische Versatzstücke genutzt sind, und den scharfen, präzisen Bewegungen, die das Juniorballett kongenial durchexerziert. Eigentlich gibt es hier nichts, das zerfallen könnte, trotzdem gerät alles immer fragmentarischer, überlagert sich die Akustik verschiedener Musikstücke. Darunter ist eine Autohupe noch das Harmloseste. Dieser Blick so weit zurück in Goeckes Schaffen lässt einen eigentlich nur Nicken. Konsequent ist er geblieben. Und er hat sich noch weiter ins Psychologisierende getrieben.

Da wünscht man sich doch glatt, mit Xin Peng Wangs „Saturn“ endlich mal ein bisschen mehr Menschlichkeit abzubekommen. Bisschen was Gefälliges. Das Stück von 2022 war ursprünglich Teil seiner „Göttlichen Komödie“ und greift den Aspekt des Paradieses auf. In weißen Kostümen (Bernd Skodzik) kommt en pointe zwar im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern bewegungstechnisch alles ganz smooth um die Ecke, aber Entspannung bedeutet das noch lange nicht. Die Musik von 48nord springt schneller als die Solisten und wechselt mit einem Fingerschnippen von dramatischen Höhen zu den gegenüberliegenden Tiefen. Die Tänzer*innen versuchen gar nicht erst, dem zu folgen. 

Ganz ähnlich wie bei Goecke ist hier nicht eine Gruppe als Gemeinschaft zu erkennen. Die bei Goecke psychologische Vereinzelung ist in „Saturn“ eine technische: Gut ausgeleuchtet gerät alles zu einer Leistungsschau, und einer hervorragend gelieferten noch dazu. Trotzdem bleibt es dabei: Die streckenweise wuchtigen Klänge und  die geschmeidige Sensibilität des Ensembles wollen auch hier nicht zu Einigkeit finden. Dramaturgisch bleibt die Musik unentschlossen, nimmt sich mal etwas zurück, um dann wieder in die Vollen zu gehen. Choreografisch entsteht so „nur“ eine Art Divertissement, ein leichtes, unverbindliches Stück, dass dieser Junior-Compagnie aber ganz deutlich durchweg ein ausgezeichnetes Zeugnis ausstellt. Ersichtlich wird das besonders dadurch, dass in „Saturn“ auch Tänzer*innen des Ballett Dortmund mit auf der Bühne stehen. Und qualitative Unterschiede zu denen sind wirklich nicht auszumachen.

Mit diesem Abend feiert das Juniorballett sein 10. Jubiläum. Gleichzeitig nimmt Xin Peng Wang damit seinen Hut als Leiter des Dortmunder Balletts. Nach 22 Jahren kann er es mit einem Lächeln tun. Das Juniorballett NRW hat sich einen ordentlichen Namen gemacht. Außerdem schmückt sich die Ballett-Sparte seit Beginn dieser Spielzeit mit einer sensationellen Auslastungsquote von offiziellen 99,9 Prozent. Das Dortmunder Publikum liegt ihm also zu Füßen. Ob man es ab der neuen Spielzeit auch noch dort finden wird, wird sich zeigen. Dann übernimmt mit Jaš Otrin, Annabelle Lopez Ochoa und Edward Clug eine Trias das Ruder. 

 

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