Keinen Tanz in den Abgrund!

Reflexionen zur 58. Sitzung des Kulturausschusses des Deutschen Bundestags über den Tanz und seine Förderung

Tanz im Bundestag, das führt zu spannenden Fragen auch jenseits der Kulturförderung. Überlegungen dazu, ob der Tanz „etwas in sich selbst Vollendetes ist und nicht wie andere Dinge den Zweck außer sich zu suchen hat” und ob man vorsichtig sein sollte mit einer solchen Nutzbarkeitsmachung des Tanzes für andere, vielleicht auch für politische Zwecke. Ein Gastbeitrag von Gustavo Fijalkow

Berlin, 05/08/2024

Von Gustavo Fijalkow

Noch vor der Sommerpause fand die 58. Sitzung des Ausschusses für Kultur und Medien im Deutschen Bundestag statt. Das Thema: Stabilisierung der Strukturen, Förderungen und Netzwerke des Tanzes. Dem politischen Fachgremium gegenüber saßen Michael Freundt, Dr. Kerstin Evert, Madeleine Ritter, Walter Heun, Yohan Stegli und Gerda Brodmann-Raudonikis. Es war ermutigend, festzustellen, dass einige der Abgeordnet*innen ein hohes Interesse, mitunter einige Kenntnisse über den Tanz oder Nähe zu ihm als Kunstform hatten. Es war ein gelungener Austausch, der den Tanz in seiner Gänze auf die Tagesordnung auf bundespolitischer Ebene gesetzt hat. Der Sitzung habe ich digital beigewohnt.

Beunruhigende Fragen…

Drei vom Abgeordneten Götz Frömming, Obmann der AfD im Ausschuss, eingebrachten Punkte beschäftigen mich grundsätzlich. Eben weil diese aus einem und dem gleichen Munde gebündelt geäußert wurden. Frömming fragte erstens, ob der Tanz “etwas in sich selbst Vollendetes ist und nicht wie andere Dinge den Zweck außer sich zu suchen hat”, zweitens, ob das Angebot des Workshops „Argumentation gegen Rechts” durch den Dachverband Tanz berechtigt sei, und drittens, nach den Gründen für die Internationalität des Bundesjugendballetts.

Zunächst zur Internationalität des Bundesjugendballetts. Diese wurde implizit als kritikwürdiger Zustand gedeutet. Und ja: es ist berechtigt, zu überlegen, ob Tanzausbildungen in Deutschland ihren Zweck erfüllen, wenn Tanzkompanien hierzulande mehr ausländische als deutsche Tänzer*innen beschäftigen. Es ist legitim, nach bestmöglichen Ausbildungs- und Studiengängen zu streben. Vielleicht wäre eine Antwort, stolz darauf sein zu können, dass wir in Deutschland so gute Tanzausbildungen haben, dass viele angehenden Tänzer*innen aus der ganzen Welt hier studieren wollen. Berechtigt wäre auch, daraus zu schließen, dass es in einem so großen Land wie Deutschland offenbar relativ wenige professionelle Vorausbildungen, Ausbildungen und Studiengänge gibt, und deshalb ausländische Tänzer*innen rekrutiert werden müssen. Dies könnte einen Auftrag formulieren, an der Basis bessere professionelle Tanzausbildungen zu etablieren und zu finanzieren – und wenn wir schon dabei sind: auch für Tänzer*innen, mit nicht-normatisierbaren Körperlichkeiten und andere, die sich als Tänzer*innen mit Behinderung oder als behinderte*r Tänzer*in identifizieren. 

Es wäre aber genauso berechtigt, zu fragen, ob Tanz oder Gesellschaft überhaupt einen Mehrwert davon hätten, sollte sich dieses Verhältnis umkehren oder wenn Tanzkompanien in Deutschland ausschließlich deutsche Tänzer*innen beschäftigen würden. Und da ignorieren wir noch die Schwierigkeit, Kriterien festzulegen, wer alles als „deutsch“ im Tanzkontext gelten darf. Denn, ist eine in Brasilien geborene Tänzerin, die seit dreißig Jahren Hauptrollen im Bausch’en Schaffen mit dem Wuppertaler Tanztheater bekleidet (und dementsprechend ihrer professionellen Karriere der „deutschesten“ aller Tanzformen, dem Tanztheater, gewidmet hat) weniger „deutsch“ als ein in Deutschland geborener Balletttänzer, der sein Schaffen einer Tanzform widmet, die in französischen Höfen entstand und im totalitären Zarenreich zu ihrer Blüte gelangte?

Die zweite Frage Frömmings bezog sich auf die Berechtigung der Geldausgabe seitens des Dachverband Tanzes für das Angebot des Workshops „Argumentation gegen Rechts“. Die realen Kosten des Workshops wurden nicht angesprochen. Jedoch bei allen Anstrengungen, existierende Geldausgaben zu überprüfen, erwies sich bei einem für den Tanz angegebenen Förderbedarf von insgesamt 10,7 Mio. Euro jährlich die Präokkupation mit der Legitimität eines Aufwands für einen lediglich fünfstündigen Argumentationsworkshops eher als auffällig, gar entlarvend. 

Und so komme ich zur ersten Frage. Einen Nebensatz von Michael Freundts Stellungnahme aufgreifend, bezog er sich auf die Kunstauffassung von Karl Philipp Moritz (1756-1793), der als Gründer der Weimarer Autonomie-Ästhetik gilt. Denn der Abgeordnete wollte der Frage nachgehen, ob der Tanz „etwas in sich selbst Vollendetes ist und nicht wie andere Dinge den Zweck außer sich zu suchen hat” und ob man “vorsichtig sein sollte mit einer solchen Nutzbarkeitsmachung des Tanzes für andere Zwecke, vielleicht auch für politische Zwecke”. Wobei, vielleicht liegt das Problem eher darin, dass diese Zwecke sich oft genug nicht ,rechts’ einordnen.

Dass Kunst nicht im Vakuum entsteht ist keine neue Erkenntnis. Angedeutet oder explizit dargestellte Gelüste, Wünsche und Frustrationen, Freuden und Dramen finden allesamt statt in dem von den existierenden Wertvorstellungen gegebenen Rahmen. Sogar Schwanensee (Russland, 1877) ist ein Beispiel hierfür. Es wäre töricht, zu behaupten, dass dieses Ballet, ohne welches die Geschichte des westlichen Tanzes schwer zu denken ist, nicht ideologisch wäre, oder dass es keine ‚Agenda’ hätte. Diese ist in jeder Handlung und ihrer Ausführung implizit.

aus wessen Geiste?

Das gilt auch für modernere Zeiten. Die abstrakte Arbeit des Choreografen Merce Cunningham entstand zur Zeit des McCarthyismus. Es war gefährlich, offen politische Botschaften zu vermitteln, die ‘links’ eingeordnet werden konnten. Seine Arbeitsweise reagierte auf das, was nicht gesagt werden durfte. Auch Kolleg*innen im heutigen China erzählen über ähnliche Strategien. All diese Arbeiten, genauso wie eine traditionelle Inszenierung von Schwanensee, geben Auskunft über die Kontexte, in denen die Kunstwerke kreiert und aufgeführt wurden und werden. 

Die Bündelung dieser Fragen beschäftigt mich. Denn wenn als „politisch“ nur das einzuordnen ist, wo gegen Rechts argumentiert wird, oder wo gelebte Internationalität gepaart wird mit dem impliziten Plädoyer für einen „bereinigten“ Tanz, der wie eine ästhetische Blase nur außerhalb bzw. ohne Bezugnahme auf seinen gesellschaftlichen Kontext existiert, wird es problematisch. Ja, so ein Diskurs prädestiniert dazu, den Tanz in der Bedeutungslosigkeit zu versenken. 

Wie die Redner*innen, die für die Tanzszene Rede und Antwort standen, deutlich machten, hat der Tanz das Potential, Menschen zu verbinden. Tanz lehrt Mitgefühl, Mitmenschlichkeit und Empathie. Auch fördert er Konzentration und Disziplin, was ihn für Bildungszusammenhänge ungeheuerlich wertvoll macht. Aber vor allem erlaubt uns der Tanz, Körper (Menschen) in Situationen zu erfahren, die sich jenseits der reinen Zweckmäßigkeit des Daseins bewegen und daher unsere Existenz auf einer ästhetischen, künstlerischen Ebene zu spiegeln - also erinnert uns der Tanz ständig an unser kreatives Potential.

Abschließend kann hier die - jawohl - deutsche Choreografin Pina Bausch paraphrasiert werden: lass uns (weiter) tanzen, denn sonst sind wir verloren! Dass wir (uns) nicht in den Abgrund tanzen (lassen), liegt allein in unserer Verantwortung.

Dr. Gustavo Fijalkow ist Tanzwissenschaftler und künstlerischer Leiter der FORWARD DANCE COMPANY von LOFFT - DAS THEATER. Besondere künstlerische Schwerpunkte der Kompanie sind die Arbeit mit Tänzer*innen mit unterschiedlichen Körperlichkeiten und an Lieux de Mémoire. 

Hier findet sich der Mittschnitt der 58. Sitzung des Kulturaussschusses des Deutschen Bundestages
 


 

Kommentare

There are no comments yet

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern