„Tanz kann Menschen verbinden“

Ein Interview mit Michael Freundt, Geschäftsführer des Dachverband Tanz, zum Aktionstag „Tanz schafft Zusammenhalt“

Am 13. September 2024 veranstaltet der Dachverband Tanz Deutschland gemeinsam mit Bureau Ritter und JOINT ADVENTURES / NATIONALES PERFORMANCE NETZ am Brandenburger Tor in Berlin den Aktionstag „Tanz schafft Zusammenhalt“. Warum beantwortet Michael Freundt der tanznetz-Redaktion.

Berlin, 06/09/2024

Er schreibt seine Emails ab 5.30 Uhr in der Früh und bis spät am Abend, er steht im engen Kontakt mit Tänzer*innen, Choreograf*innen, Veranstalter*innen, Tanzverbänden und der Kulturpolitik deutschlandweit. Jede Woche im Zug in irgendeine Stadt in Deutschland, um wichtige Menschen zu treffen oder auf kulturpolitischen Podien zu sprechen. Heute die tanzmesse nrw in Düsseldorf und morgen vielleicht in Essen oder Hamburg. Als rasender Netzwerker und geschickter Diplomat ist Michael Freundt die ideale Besetzung für die Geschäftsführung des Dachverband Tanz Deutschland – immer als leidenschaftlicher Streiter für den Tanz und am Rande seiner Kapazitäten im Verband, der so gut wie alle Vereine, Institutionen, Initiativen für den Tanz in Deutschland unter sich hat. Ganz nebenbei muss er die Geschäftsstelle in Berlin leiten, beträchtliche Förderinitiativen anstoßen und mit dem Vorstand des Vereins relevante Fragen und Aktionen diskutieren. Warum – um Himmels willen – jetzt kurz vorm Deutschen Tanzpreis im Oktober jetzt auch noch der Aktionstag Tanz im September?

tanznetz Redaktion: Lass uns mit einer persönlichen Frage starten: Du prägst aktuell als Geschäftsführer des Dachverband Tanz Deutschland ganz entscheidend die Tanzlandschaft und die kulturpolitische Verankerung des Tanzes in unserer Gesellschaft. Warum Tanz? 

Michael Freundt: Weil mich Tanz fasziniert und weil ich kein Tänzer bin. Mit den Performing Arts verbindet mich die Faszination für das non-verbale Theater – die Kraft, ohne Worte zu erzählen, mit Bildern zu arbeiten, emotionale Momente zu schaffen und Menschen zu berühren. Ich habe Theaterwissenschaft studiert, aber nicht wegen Shakespeare, Brecht und Heiner Müller. Robert Wilson, La Fura dels Baus und Jo Fabian haben mich fasziniert. Beim Theater Titanick war ich als Performer unterwegs. In den 90er Jahren wurden viele Entwicklungen des Theaters im zeitgenössischen Tanz aufgegriffen, das konnte ich vielfach beobachten, z.B. beim Festival euro-scene Leipzig, an dem ich beteiligt war.

Wie war Dein Einstieg in den Tanz?

Bis zur Wende haben mich Irina Pauls, Fine Kwiatkowski und Jo Fabian interessiert. Mein erstes Stück, dass ich in Westberlin gesehen habe, war ein Stück von Rubato. Ich wurde Mitglied im Vorstand des zeitgenössischen tanz berlin e.V. So kam in die ersten Gesprächsrunden ab 2004, welche zur Gründung des Dachverband Tanz Deutschland führten. Aus der Moderation dieser Runde erwuchs nach und nach die Rolle des Geschäftsführers. Und ich meine, es hat mir geholfen, dass ich nicht aus einer bestimmten Richtung des Tanzes kam, sondern eigentlich ein „neutraler“ Theatermensch war.

Warum veranstaltet der Dachverband gemeinsam mit Bureau Ritter und JOINT ADVENTURES / NATIONALES PERFORMANCE NETZ nun diesen Aktionstag?

Wir wollen zeigen, dass der Tanz eine enorme Kraft hat, Menschen zueinander zu bringen. Gerade da, wo Worte eher spalten. Tanz kann Begegnungen stiften, kann Menschen unterschiedlicher Herkunft, Sprache, auch politischer Positionen einander näher bringen. Daher auch unser Motto „Tanz schafft Zusammenhalt!“ Aber damit sich Tanzkünstler*innen für ihre Kunst und für die Gesellschaft engagieren können, brauchen sie auch die Unterstützung der Politik. Und da merken wir gerade, dass diese Unterstützung nachlässt. Strukturen und Förderungen in den Bundesländern und Kommunen brechen weg oder werden reduziert. Räume für den Tanz können nicht weiter finanziert werden, Tänzer*innen und Choreograf*innen überlegen ernsthaft, ihren Beruf aufzugeben. Wir tanzen auf der sinkenden Titanic.

Deshalb hat der Dachverband mit zwei starken Tanzförderern zur Demonstration aufgerufen – gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. Für eine starke demokratische Gemeinschaft, für eine stärkere Förderung der Tanzschaffenden in Städten, Ländern und beim Bund. Vom Vorstand des DTD und mir sowie von Madeline Ritter und Walter Heun ist die Initiative ausgegangen, jetzt haben sich auch die Gewerkschaften, unsere Mitgliedsverbände und der Deutsche Kulturrat angeschlossen.

Das ist ja wirklich eine starke Gemeinschaft, die da antritt. Was wird denn am Brandenburger Tor passieren? 

Wir starten am Nachmittag mit Performances und Diskussionen. Zehn Projekte von Kompanien und Tanzschulen zeigen, wie Tanz Menschen verbinden kann, wie Integration durch Tanz möglich ist wie Tanz als gelebte Demokratie erfahren und gezeigt werden kann. Der Nachmittag steht daher unter dem Zeichen von Exchange und Empowerment für die Szene und ist zugleich eine Demonstration für den Tanz mit allen, die zu uns auf den Platz kommen, mit uns diskutieren und mit uns tanzen.

Am Abend erwarten wir auch Politiker*innen aus dem Bundestag, es werden auf der Bühne auch Künstler*innen sprechen und unsere Forderungen für den Tanz noch einmal deutlich machen. Wir brauchen bessere Strukturen für den Tanz, angemessene Förderungen und politische Anerkennung. Dafür erheben wir unsere Stimme und dafür werden wir gemeinsam tanzen.

Wie seid Ihr auf den spektakulären Ort am Brandenburger Tor in Berlin gekommen?

In den letzten Jahren haben wir immer wieder mit Symposien und Konferenzen auf die Situation des Tanzes aufmerksam gemacht. Rückblickend haben wir festgestellt, dass wir da doch als Tanzschaffende zu oft unter uns bleiben. Deshalb wollen wir rausgehen, sichtbar werden. Deshalb eine Demonstration für den Tanz in Deutschland im Herzen der Hauptstadt. Ich habe im Februar diese Versammlung angemeldet und seitdem laufen die Planungen.

Wo kommen die Tanzbeiträge her? Und wer hat sie ausgewählt?

Im Frühjahr haben wir hierzu einen Aufruf gestartet, wollten Ideen und Erfahrungen aus der ganzen Republik sammeln. Wir hatten im Juni rund 60 Vorschläge. Diese Vorschläge wurden von einer Arbeitsgruppe des Vorstandes gesichtet. Wir konnten schließlich 15 Projekten die Möglichkeit geben, ihre Arbeit zu präsentieren.

Auf welche Tanzgruppen freust Du Dich am meisten? 

Ich bin sehr gespannt auf die Arbeit von Tanzmoto aus Essen und auf Luna Park aus dem Berliner Wedding. Ich freue mich, dass sowohl Künstler*innen aus dem zeitgenössischen Tanz wie aus dem Ballett Position beziehen. Auch Künstler*innen aus dem Umfeld des Pina-Bausch-Ensembles werden dabei sein.

Konntet Ihr die Politik mobilisieren teilzunehmen? 

Ja, Abgeordnete aus dem Bundestag werden dabei sein, von der Ampel wie von der Opposition. Es sind aber nicht allein Kulturpolitiker*innen. Als eine der ersten wird bei der Demo eine Staatsministerin aus dem Ministerium des Innern und für Heimat sprechen. Es geht eben um mehr als „nur“ die Förderung der Künste. Aber auch die Kulturstaatsministerin wird durch einen hochrangigen Beamten vertreten sein. Beim Land Berlin hält man sich leider zurück, gerade Berlins Senator für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt (!) hätte sich hier einbringen können, denn die Kultur in der Hauptstadt wird ja ganz maßgeblich durch die Berliner Tanzszene geprägt, ist aber zugleich von starken Kürzungen betroffen.

Was ist genau das Ziel dieses Aktionstags?

Wir wollen den Tanz sichtbar machen, ein Zeichen setzen. Der Tanz, die lebendigen Künste dürfen nicht zugunsten der großen, etablierten Institutionen immer weiter gekürzt werden. Immer weniger Menschen identifizieren sich mit den Kultur-Hochburgen. Aber immer mehr Menschen verbinden sich mit dem Tanz, sehen Tanz, tanzen selbst. Tanz bewegt Menschen in einer immer mehr durch Wandel und Internationalität geprägten Gesellschaft.

Steht es wirklich so schlimm um die Tanzförderung in Deutschland? 

Bei den Bundeskulturfonds wird die Förderung gerade halbiert, in Berlin sind es rund 10 Prozent Kürzungen. In Düsseldorf kann der FREIRAUM von Ben J. Riepe nicht weiterfinanziert werden, in Köln wird gerade das Tanzhaus-Projekt mit dem Konzept einer neuen freien Kompanie abgesagt. In Heidelberg steht INTER-ACTIONS von Edan Gorlicki auf der Kippe. Festivals reduzieren ihr Programm.

Bei den Tanzförderungen des Bundes, also TANZPAKT und Nationales Performance Netz sind bisher keine Kürzungen vorgesehen, die Programme werden für die nächsten Jahre verlängert. Als der Bund eine strukturelle Tanz-Förderung von ca. 1,1 Mio. € zur Verfügung stellte, war das Anfang 2017 ein guter erster Schritt. Heute sind das inflationsbereinigt nur noch 915.000 € – für die ganze Republik. Keine Kürzungen, aber trotzdem ein Realverlust.

Unser Land ist ja politisch gerade sehr aufgeladen. Kann sich der Tanz in dieser Zeit überhaupt Gehör verschaffen? Polemisch gefragt: ist der Tanz aktuell wichtig?

Wir müssen (!) uns Gehör verschaffen. Dafür gehen wir vor das Brandenburger Tor. Dafür gehen wir zur Politik. Nicht nur in Berlin. Die Landesverbände, Tanzbüros, Tanznetzwerke gehen zu ihren Politiker*innen vor Ort, ob in Frankfurt, Hamburg, Köln, Dresden oder München.

Und ja, Tanz ist aktuell wichtig. All den politischen Debatten, dem Hass im Netz, der fehlenden Streitkultur mangelt es nicht an Worten. Aber all diese Reden scheinen die Gräben nur zu vertiefen. Mit immer mehr Worten wird sich immer stärker von einander abgegrenzt.

Daher das Plädoyer für Begegnungen, die nicht gleich politische Bekenntnisse fordern, sofort einen politischen Zweck erfüllen sollen. Es braucht eine neue Wahrnehmung. Und Tanz kann ein Anlass sein, zusammenzukommen, unsere Gegensätze neu wahrzunehmen und gemeinsam in Bewegung zu kommen.

Wie macht Ihr weiter mit Eurer kulturpolitischen Arbeit?

Wir starten gerade eine bundesweite Erhebung zur Situation des Tanzes, zu Kürzungen und Strukturabbau. Mit den Landesverbänden, Tanznetzwerken und Tanzbüros wollen wir einen umfassenden Überblick bekommen.

Unter dem Titel INITIATIVE TANZ wollen wir die Tanzförderung des Bundes stärken. Mit der INITIATIVE bündeln wir TANZPAKT, Nationales Performance Netz und explore dance, das Netzwerk Tanz für junges Publikum. Wenn es uns gelingt, vom Bund 3 Mio. € mehr zu erhalten, dann können wir mit der Ko-Finanzierung der Städte und Länder bis zu 10 Mio. € für den Tanz in Deutschland bewegen. Darüber sprechen wir gerade mit den Haushaltspolitiker*innen im Bundestag.

Da stehen ja große Aufgaben bevor! Was ist die nächste Veranstaltung der großen Verbands?

Am 12. Oktober verleihen wir den Deutschen Tanzpreis im Aalto-Theater Essen. Da werden feiern wir nicht nur mit einer großen Gala die Vielfalt und die Kraft des Tanzes. Aber auch da werden wir die politische Unterstützung für den Tanz einfordern – bei den Städten, den Länder-Ministerien und beim Bund.



 

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