Altmeisterliches
Tanz im August: Neues von Jérôme Bel und Estelle Zhong Mengual sowie Meg Stuart und Francisco Camacho
Die 36. Ausgabe von Tanz im August in Berlin startet mit Dorothée Munyanenzas „umuko“
Kunst und Tanz sind wie eine Hornisse, die um ein Pferd herumsummt und es so beweglich und auf Trab hält. Mit diesem gedanklichen Bild eröffnete HAU-Chefin Annemie Vanackere die diesjährige Ausgabe von Tanz im August. Ricardo Carmona, der künstlerische Leiter des Festivals, verglich den Tanz hingegen mit einem Kompass, der aus Geschichte, Erinnerungen und Begegnungen gespeist wird und in die Zukunft weist. Auch Oliver Friederici, Staatssekretär im Bereich Kultur in der Berliner Senatsverwaltung, das zugleich auch für gesellschaftlichen Zusammenhang zuständig ist, warb mit dem Kompass für den Tanz, ob allerdings angesichts der pauschalen Forderung alle Kultur um 10 Prozent in 2025 zu kürzen, der Kompass der Senatsverwaltung noch funktioniert, steht auf einem anderen Blatt. Neben den obligatorischen Fächern zum Tanz im August lagen im Foyer des HAU 1 jede Menge Flyer zu Protestresolutionen und Demos aus und auch der Empfang für Staatsekretär Friederici war eher frostig.
Tanz- und Musikerformance mit Inanga und E-Gitarre
Warm wurde es dagegen bei der Eröffnungsperformance „umuko“ von Dorothée Munyanenza, erarbeitet mit der Cie Kadidi und immerhin eine Deutschlandpremiere. Der Titel verweist auf den Umuko-Baum, der in Ruanda als „Heiler und Wahrer von Geschichten“ steht, so informiert das Programmheft, und so ist denn auch die einstündige Tanz- und Musikperformance ein Weg durch Zeiten und Phasen und vor allem durch Stile und Ausdrucksformen. Alles beginnt in Dunkelheit mit den klopfenden Lauten auf der Inanga, einem traditionellen ruandischen Instrument, das sowohl für Percussionzwecke als auch als Saiteninstrument genutzt werden kann. So dominiert am Anfang die Musik, die atonalen Schläge ordnen sich, die klingenden Saitentöne kommen hinzu und irgendwann ergibt sich eine wiederholende Tonfolge, die mal in Richtung Blues, mal in Richtung Funk ausschlagen kann. Andere Instrumente gesellen sich dazu, gehen wieder, irgendwann steht die fünfköpfige Company in ihren roten, leicht aufgeplusterten Kostümen in einer Reihe und liefert eine A-capella-Klatschnummer während sie von links nach rechts in genauer Synchronität über die Bühne schreiten.
Auch tänzerisch ändert sich im Lauf des Abends mehrfach das Vokabular, wie bei einer Wanderschaft durch verschiedene tänzerische Zonen, bei denen auch der eine oder andere Umweg genüsslich in Kauf genommen wird. Zunächst dominiert ein hartes, eckiges Bewegen, marionettengleich staken sie über die Bühne, bloß um dann alsbald in neuer Dynamik zu Sprüngen anzusetzen oder noch später gar in artistisch angehauchten Rollen über den Boden gleiten. Doch es braucht bis zum Ende, dass sie sich erkennen. Auch wenn sie in Gruppen tanzen und in genau gezirkelten Raumformationen, die bisweilen an klar gesetzte Tableaus erinnern, so bleibt doch jeder für sich, findet im Grunde kein Dialog zwischen den Tanzenden statt. Erst ganz am Ende mit variierten Kostümen, tanzen sie alle auch miteinander, haben vielleicht auf ihren gemeinsam getrennten Wegen erst ins Heute gefunden, zu den drei Congatrommeln und der E-Gitarre, die endgültig den Funk etabliert.
Wanderung durch einen Wald von Musik und Tanz
Choreografin Dorothée Munyanenza zeigt mit diesem Abend ein großes Gespür für Rhythmus, nicht nur in den perfekt synchronen Bewegungsabläufen der Company, sondern vor allem in der Gesamtgestaltung des Abends, der nichts erklärt aber alle mitnimmt. Lautes und Leises, Expressives und In-Sich-gekehrtes lösen sich in klug ausgetüftelter Harmonie ab. Mal in krassen Brüchen, mal mit eindeutigen Blackouts aber auch in sanften Übergängen mit einem wunderbaren Coup am Ende, wenn die zwei Meter hohe Projektionswand auf die volle Höhe der Bühne hochgefahren wird. Das ganze Bild ist für den Menschen meist unsichtbar. Und der Kompass der Kunst zeigt hier in alle Richtungen, wirbelt Gegenwart, Vergangenheit, Traditionen und (Post-)Modernes einfach durcheinander – und hält so die Kunst, die Welt in Bewegung. Ganz ohne die Drohung eines Stichs.
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