Neues aus Salzburg
Armin Frauenschuh wird Managing Director am Landestheater
70 Jahre nach dem Tod der mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo und 32 Jahre nachdem Johann Kresnik ihr Leben in Bremen zum ersten Mal in einem Tanztheater-Stück für die Bühne inszenierte, hält die Faszination für ihre Kunst und ihr Leben an und ist Anlass für zahlreiche Inszenierungen, so auch am Salzburger Landestheater.
Die Energie des Lebens von Frida Kahlo spiegelt sich in einer Vielzahl leidenschaftlicher Selbstporträts, einer von kommunistischen Ideen geprägten Weltsicht und ihrem Bekenntnis zu ihren mexikanischen Wurzeln wider. Zahlreiche Operationen und körperliche Einschränkungen führten zu einer intensiven künstlerischen Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Schmerz, den sie mit unerschütterlicher Offenheit und Authentizität in ihren Werken zeigt. Dennoch leuchten die Farben ihrer Werke intensiv und voller Leidenschaft, während die vielschichtigen Symboliken eine faszinierende Balance aus dem Fantastischen, Realen und Surrealen erschaffen.
Ballettdirektor und Choreograf Reginaldo Oliveira gliedert seinen Tanzabend zu Frida Kahlo in elf Szenen, begleitet von Auszügen aus Kahlos Schriften im Programmheft: Revolution, Los Cachuchas, Der Bus, Der verletzte Hirsch, Frida und Diego Rivera, Diego und ich, Zwei Fridas, Selbstportrait, Selbstbildnis mit abgeschnittenem Haar, Ausstellung, Viva la Vida. In elf in sich geschlossenen Szenen greifen biografische Bilder und emotionale Welten ineinander und verweben sich in einem vielschichtigen Tableau zu Oliveiras Hommage. In deren Mittelpunkt steht Frida Kahlo als Frau, die sich nicht durch ihre Einschränkungen hat bestimmen lassen, sie bleibt nach diesem Abend jedoch etwas zu fragil in Erinnerung.
Lebensweg eines lebenden Kunstwerkes
Frida Kahlo ist an diesem Abend unschwer zu finden. Das Ensemble in lilafarbenen Röcken, Hosen und Blazern (Kostümbild von Judith Adam) bricht auf, mexikanische Vokalmusik erklingt und eine Frau mit Zopfkrone und reduziert markanten Augenbrauen wird sichtbar. Die Bewegungen des Ensembles rücken in ihrer Präsenz in den Hintergrund, die Bühne wirkt wie ihre unbemalte Leinwand vor Erstellung eines ihrer Werke. Das reduziert gestaltete Bühnenbild, Matthias Kronfuss, ist von den Farben und der Formensprache Kahlos sowie der minimalistischen, emotionalen Architektur und Ästhetik des mexikanischen Architekten Luis Baragán Morfín inspiriert. Zentral ist die Farbe Rot in ihrer Symbolik als Farbe für Liebe, Schmerz, Leidenschaft aber auch Kommunismus, der politischen Haltung von Frida Kahlo. Frida, getanzt von Valbona Bushkola, trägt im ersten Teil des Abends zunächst ein hellrosafarbenes Trikot. Die Kostüme von Judith Adam agieren ebenso behutsam und reduziert – frei von folkloristischer Interpretation, sich aber trotzdem auf die Identität Frida Kahlos beziehend.
Mit choreografischer Feinfühligkeit zeigt Oliveira nun Lebenseinschnitte der Künstlerin. Besonders stark sind Bewegungssequenzen, die ihre körperliche Verfassung und seelische Versehrung nach einem Busunfall zeigen. Die heutige Frida durchlebt diese Szenen ihres Lebens, wird vom Ensemble durch sie getragen und aufgerichtet, wenn sie selbst nicht gehen kann. Ihr Blick bleibt jedoch, wenn sie nicht ihr zweites Selbst, ihren Mann oder ihre Schwester betrachtet, nach vorne, mal verzweifelt suchend, dann wieder lächelnd oder nach Freiheit strebend, temperamentvoll ins Publikum gerichtet.
Drei Jahre nach dem Busunfall lernt Frida Kahlo den Künstler und ihren zukünftigen Mann Diego Rivera kennen, getanzt von Ben van Beelen. Ihr Pas de Deux ist ein Ineinanderfließen, sie bedingen sich, innig, sind sich einig, werden eins. Zu „La Llorona“ von Chavela Verge entstehen aus Umarmungen geschickte Hebungen, van Beelen und Bushkola tanzen füreinander, komplex ineinander geschachtelt, mit Leichtigkeit und Leidenschaft.
Das auf die Scheidung des Paares folgende Zitat des Doppelporträts „Die zwei Fridas“ rückt jedoch nach einem weitere Pas de Deux, dem Betrug Diegos mit Fridas Schwester, in den Hintergrund. Das weiße Kleid der zweiten Frida bleibt weiß, auch wenn Bushkola Frida in fassbarer Tiefe tanzt, als würde sie versuchen „den Blutfluss zu stoppen, aber es tropft weiter“.
Nach der (Raucher)pause wird geraucht
In gelbem Enredo (weiter Wickelrock), Blazer und Blumenschmuck auf dem Kopf blickt Valbona Bushkola lasziv rauchend, mit feurigem Blick ins Publikum. Das Ensemble in schwarzen Anzügen und ebenfalls farbigem Blumenschmuck tut es ihr gleich, doch scheinen sie Frida nun nicht mehr zu formen, vielmehr ist sie in dieser Szene des Selbstporträts für sich, bei sich. Die Farbe Gelb, so der Tagebuchausschnitt Kahlos im Programmheft, symbolisiert Irrsinn und Angst, steht aber auch als Sinnbild für Sonne, Licht und Lebensfreude. Diese Dualität durchzieht die vier letzten Szenen des Abends. Reginaldo Oliveira verleiht der Figur Frida Kahlos ihre volle Präsenz als die Pionierin der Emanzipation in Mexiko.
Allein auf der Bühne erklingt zum zweiten Mal „La Llorona“, Bushkola verkörpert die Fragilität Fridas, Tränen glitzern in ihren Augen, und ihre aufrechte Haltung wirkt erschöpft, als würde sie gegen den seelischen und körperlichen Schmerz ankämpfen – ganz im Einklang mit Kahlos Worten: „Die mächtigste Kunst ist es, den Schmerz zu einem heilenden Talisman zu machen“. Das Ensemble umschreitet sie mit flatternden Händen, funkelnden Augen und über den Boden fegenden bunten Enredos. Die Reise in Fridas Welt schließt mit „Viva la Vida“ und lässt ein letztes Mal das Ensemble mit Gebilden aus spitz gestreckten Armen oder aufgespannten Röcken mit, um und für Oliveiras Frida tanzen. Wenn diese im Ensemble verschwindet, dann nur im Wirbel der sich überlagernden Bewegungen, inmitten eines Getümmels unterschiedlicher Ausführungen der Choreografie. Gruppensequenzen und Bilder verlieren sich zeitweise in fehlender Synchronität, schade für die so facettenreiche Choreografie des Abends.
Ein offenes Bild
„Fridas Welt“ zeigt einen erstaunlich feinfühligen Ansatz in der choreografischen Auseinandersetzung mit Frida Kahlo. Trotz der weitschichtigen biografischen Zitate fließt ihr dezidierter Blick, die Wahrnehmung in Farben, Formen und Bildern in jeden Moment ein und lässt eine innere Welt lebendig werden.
Kahlos Werke reflektieren ihre persönlichen Erfahrungen und ihre Identität, gewähren einen schonungslosen Einblick in ihr Leben und erschaffen ein tiefes Verständnis für Themen wie Identität, Schmerz und die Rolle der Frau in der Gesellschaft. „Fridas Welt“ zeigt Puzzleteile dieses Weges. Am Ende des Abends liegt vor dem Publikum jedoch kein vollendetes Puzzle, und auf dem Nachhauseweg stellt sich hoffentlich kein Gefühl der vollkommenden Erfüllung nach zwei Stunden im Theatersessel ein. Denn Frida Kahlo ist, und genau das scheint Oliveira und seinem Team sehr bewusst, mehr als diese Choreografie, mehr als die Auszüge aus ihrem Tagebuch im Programmheft, die Farben ihrer Bilder auf der Bühne oder ein Abbild auf Tassen, Notizblöcken oder Kissen.
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