Im grauen Tunnel der Erinnerungen
Maciej Kuźmiński choreografiert mit dem Ensemble Tanz Linz die Uraufführung „Memoryhouse“
Die Strategie der umtriebigen Spartenleiterin am Linzer Musiktheater, wie sich Roma Janus selbst bezeichnet, scheint aufzugehen. Das von ihr aus 16 Tänzer*innen unterschiedlichster Herkunft divers zusammengestellte Ensemble ist mittlerweile „ready to go“. Will heißen, es ist nach etlichen Uraufführungen mit meist interessanten Choreografen (herausragend „Neuzeit“ von Johannes Wieland) nun selbstbewusst genug, sich den Ansprüchen großer Namen zu stellen. Für die laufende Saison konnte Janus die internationalen Größen Emanuel Gat und Sidi Larbi Cherkaoui für Neueinstudierungen bereits existenter Werke ans Linzer Haus holen. Hofesh Shechter wäre ein weiterer Kandidat, auch Marco Goecke. So pirscht man sich heran an etwaige kommende Uraufführungen mit den „Großen“.
Dass der israelische, in Südfrankreich seit vielen Jahren ansässige Choreograf Emanuel Gat relativ spät, nun nach Auftritten bei den Salzburger Festspielen (2023 eine Uraufführung), in Österreich öfter in Erscheinung tritt, hat wohl mit seiner, gewöhnlich große Teile eines Publikums erobernden, physikalisch intensiven Körpersprache zu tun. Angereichert mit kreativer Kostümierung von Thomas Bradley, entsteht daraus ein Wirbelsturm, der einer großen Zuschauermenge zumindest eines zeigt: So kann intensiver, vielgestaltiger Tanz ausschauen, zwischen technikbasierter Leistungsschau und ganz auf ein Minimum reduzierter Intensität, die wie Innerlichkeit wirkt, ist da Alles möglich. Für Spitzfindige, die nach gewiefter Inhaltlichkeit Ausschau halten, möglicherweise zu wenig.
Gat hat seine 2020, in der Covid-Pandemie entstandene, 70minütige äußerst erfolgreiche Tanz-Show „Lovetrain 2.0“ für Linz „freigegeben“, dabei aber, wie Janus erzählt, doch etliches neu erarbeitet. Seinem Weltbild von Freiheit und Souveränität entspricht die letztlich grenzenlose Individualität auf der Bühne, die auf Gemeinsamkeit nicht verzichtet. Dem will man gar nicht widersprechen. Sein Atout, wenn man den auch in Linz sehr großen Publikumserfolg mit in Betracht zieht, ist die Musikauswahl. Die britische Band Tears for Fears hat sich mit etlichen Synthiepop-Songs ins kulturelle Gedächntis eingeschrieben. Das kann man nicht leugnen. Gat nutzt ausschießlich deren Musik und damit auch ihre Texte. Er bezieht auch den Titel Lovetrain aus einem ihrer Songs – Sowing the Seeds of Love – und fährt auch damit gleich nach der ersten Nummer lautstarke Begeisterung ein.
Er ist umsichtig genug, nicht die Gesamtdauer mit Ohrwürmern der Tears for Fears auszufüllen, sondern setzt immer wieder Szenen in Stille, die er für Soli und Duette nutzt. Bei aller Feier der herausragenden Physikalität und Gestaltungskraft der Linzer Tänzer*innen geht Gat dann nach guten vierzig Minuten dramaturgisch die Luft aus. Mit einem bekannten aber immer wirkungsvollen Schlussmoment, in dem er das gesamte Ensemble der Reihe nach vorne kommen lässt, zwingt er Zweifler noch einmal zur Aufmerksamkeit. Die „Tears“ drücken dann doch so manchem Zuschauenden Feuchtes aus den Augen.
Die Produktion ist zwölf Mal angesetzt und läuft sogar durch die Abonnements.
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