„No Room 4 (Mis)takes“ von Luches Huddleston Jr.

Wer tritt hier wem zu nahe?

„No Room 4 (Mis)takes“ von Luches Huddleston Jr. in der Heidelberger Hebelhalle

Ein intimes Konzept verhandelt die Frage nach Nähe und Abstand. Wo beginnt Ausgrenzung? Und hilft die Flucht nach vorn?

Heidelberg, 29/10/2024

Zum Abschluss der Festivalreihe D-Dance durfte das Publikum nicht nur mit auf die Bühne, sondern den Protagonist*innen auch ganz nahe sein – ein bisschen zu nahe vielleicht. Tanzen verlangt nach körperlicher Nähe, und für persönliche Animositäten oder der Forderung nach Privatsphäre ist da kein Platz. Der Choreograf muss es wissen: Luches Huddleston Jr. war vor seiner Berufung zum Leiter des Bewegungschores am Nationaltheater professioneller Tänzer, unter anderem in Mannheim. Zusammen mit dem Tänzer Giovanni de Buono hat er die Mannheimer „lil’luke dance company“ gegründet, hier repräsentiert von Ayaki Kikuchi, Cara Hopkins und Julia Headley – letztere war zehn Jahre lang gefragte Solistin am Nationaltheater.

Das Tanzstück „No Room 4 (Mis)takes“ kommt ganz ohne Bühnenbeleuchtung aus: Die Tänzer bringen die Lichtquellen selbst mit (Lichtkonzept: Damian Chmielarz) und schaffen so einen intimen optischen Rahmen. Goldene Capes – ein bisschen wie Faschingsverkleidung – bieten den Tänzer*innen eine theatralische Hülle, die sich am Ende doch als störende Fessel erweist. Unter den Umhängen tragen die Darsteller*innen, gehüllt in fließende Lingerie-Teile, ihre Haut weitaus ungeschützter zu Markte. Zu einem Musikmix von Bach bis Elektronik erproben die Vier nicht nur unterschiedliche Tanzstile, sondern auch die Verhandlung von Nähe und Abstand. Wie geht man um mit dem Wunsch nach Berührung? Was, wenn man gefürchtet oder ausgegrenzt wird – als Mann, als schwarze Frau? Was bringt es, zu fliehen oder die Flucht nach vorn anzutreten? Das Aus- und Umziehen, am Ende zurück in die Alltagskleidung, erfolgt in unmittelbarer Nähe des Publikums – wohl näher dran, als dem einen oder der anderen lieb ist. 

Selbstbestimmtes künstlerisches Arbeiten

In der freien Tanzszene sind Geld, Probenräume und Aufführungsmöglichkeiten knappe Güter. Das Heidelberger Choreographische Centrum (CC), ein Projekt der TANZallianz (Zusammenschluss des Städtischen Theaters mit dem freien Unterwegstheater), spielt eine rühmliche Vorreiterrolle: Choreograf*innen können sich hier für zeitlich befristete Residenzen bewerben. Das Besondere am CC ist die Möglichkeit, nicht nur einen Probensaal komplett zur freien Verfügung zu haben, sondern auch vor Ort wohnen zu können. Verbunden mit einem Produktionskostenzuschuss wird hier die seltene Möglichkeit geboten, für ein paar Wochen ausschließlich künstlerischer Arbeit nachzugehen, so konzentriert und selbstbestimmt wie nur möglich. Entsprechend begehrt sind die international ausgeschriebenen Residenzen. Eine Jury (Jai Gonzales, Gründerin des Unterwegstheaters, Iván Pérez, Leiter des Dance Theatre Heidelberg und Rosemary Helliwell, stellvertretende Leiterin der Akademie des Tanzes) wacht über die Professionalität und das künstlerische Niveau der eingereichten Bewerbungen. Die Stadt Heidelberg unterstützt das CC nicht nur mit der Übernahme der jährlichen Mietkosten, sondern auch mit einem Produktionskotenzuschuss von insgesamt 60000 Euro. 

Mit dem Festival D-Dance hat das Unterwegstheater nun erstmals systematisch Endergebnisse dieser Residenzen präsentiert: An sechs Wochenenden konnte das Publikum eintauchen in die unterschiedlichsten kreativen Welten des zeitgenössischen Bühnentanzes. Alle gezeigten Stücke hatten nur eine Gemeinsamkeit: Sie waren ganz oder teilweise im CC erarbeitet worden. Das Festival-Fazit fällt durchweg positiv aus. Die gezeigten Stücke können nicht nur mithalten im europäischen Tanz-Festival-Betrieb – manche haben das Zeug zum echten Geheimtipp. Einmal mehr wurde deutlich, wie gründliche und intensive choreografische Arbeit in den Köpfen des Publikums kreativen Widerhall finden kann – gut investiertes Fördergeld in eine urbane Kulturszene.

 

Kommentare

There are no comments yet