Merkwürdiger Schwebezustand
Das Mannheimer Ballett in Hollywood: Kevin O’Days Tanzstück „Film Noir“
Seit fünf Jahren leitet der Amerikaner Kevin O’Day die Tanzkompanie des Nationaltheaters in Mannheim und fährt dort mit seinen abstrakten Werken einen deutlich moderneren Kurs als die beiden klassischen Ballettkompanien Baden-Württembergs in Stuttgart und Karlsruhe. Jetzt präsentierte das „Kevin O’Day-Ballett Mannheim“, wie die Truppe inzwischen heißt, einen Abend ganz aus modernen Duos - interessant schon deshalb, weil O’Day vor allem Werke und Choreografen aus Kanada eingeladen hat.
Die meisten Stücke von „Entre Deux“ werden zu elektronischen Soundtracks getanzt oder aber zu der repetitiven, minimalistischen Musik von Steve Reich, Gavin Bryars und Michael Gordon. Für Abwechslung sorgen dabei die unterschiedlichen Ansätze der Choreografen von Beziehungsdrama über Komik bis Video-Performance. So lässt der Slowake Lukas Timulak, Mitglied des NDT I, ein Paar mit seinen eigenen Projektionen tanzen, die sich aber nicht einfach parallel auf der weißen Leinwand bewegen, sondern mit immer wieder anderer Verzögerung, manchmal auch spiegelverkehrt.
Das optische Vexier- und Verwirrspiel mit Live-Video wirkt hier noch wie ein Ausprobieren der medialen Möglichkeiten, technik- statt tanzlastig; Wayne McGregors Videokünstler Ravi Deepres ist da mit schärferen und mehrfachen Projektionen schon viel weiter. Anders als bei der akustischen Tanz-Software der Forsythe Company werden die digitalen Live-Einspielungen hier von außen gesteuert, nicht von den Tänzern selbst.
Auch die Kanadierin Emily Molnar gehört zu der stetig steigenden Zahl früherer Forsythe-Tänzer, die als Choreografen Karriere machen; ihr nachdenklich-distanziertes Frauen-Duo „Utterance“ erhält seine Struktur durch die Vereinzelung der beiden Frauen, die gemeinsam meist in parallelem Abstand tanzen, nebeneinander statt miteinander.
Wie Molnar arbeitet auch der ehemalige Mannheimer Tänzer Robert Glumbek jetzt in der kanadischen Off-Szene, wo er mit Roberto Campanella die Truppe ProArteDanza leitet. Im Pas de deux „Still“ integriert er, unterstützt vom atmosphärischen Lichtdesign Mark Stanleys, die flüchtigen Gesten einer Partnerschaft in eine immer schnellere, frenetischere Choreografie, die sich von zögerlichen Anfängen in eine Art sinnlichen Taumel steigert. Man sieht, wo er gelernt hat: Kevin O’Days vier Jahre alter Pas de deux „No need to lead“ nimmt Glumbeks intensive bis aggressive Zweierbeziehung, die einfallsreichen Hebungen und Verschlingungen sowie die aufblitzenden Reste von klassischem Material vorweg.
Auch Luches Huddleston Jr. tanzt in Kevin O’Days Kompanie; er paraphrasiert in seinem musiklosen Sportlerduo „a different conversation“ einen Text des Kultpoeten Langston Hughes, in dem es um doppelte und einzelne Körperteile geht (zwei Augen, aber nur eine Nase). Für sich selbst und Luis Eduardo Sayago entwickelt der schwarze Tänzer dabei eine freches, spielerisches Bewegungsidiom aus trockener Pantomime, coolen Rapper-Gesten und dem federnden Tänzeln zweier Basketballer in Turnschuhen und Trainingsklamotten. Zum Schluss holt ein klingelndes Handy die beiden von der Bühne - das witzige Stück empfiehlt sich durch Ironie und ein erfrischendes Understatement.
Die größte Überraschung des Abends war sicher James Kudelkas zwanzig Jahre altes Duo „Soudain, l’hiver dernier“ („Plötzlich im letzten Winter“ - ob die Anspielung auf das Tennessee-Williams-Schauspiel „Suddenly Last Summer“ beabsichtigt ist?) für zwei nicht mehr ganz junge Männer in trister Alltagskleidung und Straßenschuhen. Statt der langweiligen Neoklassik, die man in Europa gemeinhin mit dem langjährigen Direktor des National Ballet of Canada verbindet, gab es hier ein düsteres Stimmungsbild von tanztheatralischer Wucht. Zu Gavin Bryars‘ musikalischer Endlosschleife „Jesus‘ Blood Never Failed Me Yet“ hatte Kudelka schon 1987, also sechs Jahre vor William Forsythes berühmten „Quintett“ zur gleichen Musik, eine Art choreografische Endlosschleife geschaffen. Nach einem strengen Ritual der Trauer rotieren die tanzenden Choreografen Kevin O’Day und Robert Glumbek - der eine mit Vollbart, der andere kahlköpfig - mit beiden Armen, lehnen schwer ineinander oder springen in kurze, halsbrecherische Lifts, bei denen ihre Beamtenkleidung traurig verrutscht und verknittert. Ein groteskes, berührendes, ganz und gar ungewöhnliches Stück.
Neben dem meeresrauschend-gefühlsduseligen, in seiner immergleichen Dynamik recht langweiligen Pas de deux „a/way inside“ von O’Days Stellvertreterin Dominique Dumais steuerte der Mannheimer Ballettdirektor noch das witzige Schlussbonbon „Entre Eux“ für eine Braut und drei Herren in weißen Knickerbockern über roten Strümpfen bei. Das kurze Stück schwankt zwischen Hochzeits-Slapstick und ernsthaftem Ausbruchsversuch der Dame und zeugt damit erneut von O’Days merkwürdigem Sinn für Humor. Über mangelnde Abwechslung kann man sich an diesem Abend ganz bestimmt nicht beklagen.
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