Abermaliger Direktionswechsel in Kopenhagen

oe
Stuttgart, 05/10/2001

Wir regen uns darüber auf, dass es so schwer ist, profilierte Persönlichkeiten für die künstlerische Leitung der Ballettkompanien an den großen Opernhäusern in Berlin zu finden. Dass das kein deutscher Missstand ist, zeigt die Situation beim Königlichen Ballett in Kopenhagen. Dort hat es in den letzten Jahren eine derartige Fülle von Ballettchefs gegeben, dass der Posten des Ballettdirektors zum Schleudersitz verkommen zu sein scheint. Man erinnere sich nur aus der jüngeren Vergangenheit: Frank Andersen, Peter Schaufuss, Maina Gielgud...

Jetzt hat es also den Dänen Aage Thordal-Christensen erwischt, Jahrgang 1965 und verheiratet mit Colleen (der Schwester von Patricia) Neary, der sein Amt erst im Sommer 1999 mit den größten Zukunftshoffnungen angetreten hatte. Zur neuen Spielzeit erhielt er nun seine Kündigung. Sein Nachfolger wird – man höre und staune – Frank Andersen, für eine Übergangszeit Berater in allen Fragen, die das Repertoire und die Planungen der kommenden Spielzeiten betreffen sowie für die Ballettbelange beim Bau des neuen Opernhauses. Sein Vertrag als Künstlerischer Direktor des Königlich Dänischen Balletts läuft dann vom 1. Juli 2002 bis zum 30. Juni 2006 und schließt die Vorbereitungen für das 2005 geplante Festival anlässlich des zweihundertsten Geburtstags von August Bournonville ein.

So weit, so gut – und meinen herzlichen Glückwunsch für Frank Andersen, den ich für einen der fähigsten Ballettchefs der heutigen internationalen Szene halte – trotz der bekannten Schwierigkeiten mit den Tänzern während seines ersten Kopenhagener Ballettdirektoriats (aber wir wissen ja, wie schwer die Tänzer gerade dieser Kompanie zu leiten sind – schon Harald Lander, Paris-erfahren, musste da, von der Pariser Opéra kommend, seine bitteren Erfahrungen machen).

Aber es kommt noch besser! Auf der gleichen Kopenhagener Pressekonferenz verkündete der General Manager des Opernhauses die Ernennung von Lloyd Riggins zum „1st Guest Instructor and special associate to the Royal Ballet“. Ringins, New Yorker des Jahrgangs 1969, ist bekanntlich seit 1995 Erster Solist des Hamburg Balletts. Seine Aufgabe wird es sein, dem Künstlerischen Direktor zu assistieren bei der Entwicklung langfristiger künstlerischer Visionen für das Ballett und bei der Profilierung und Erweiterung des Repertoires in den kommenden Jahren.

Was die Gegenwart betrifft, so wird er weiter als Erster Tänzer beim Hamburg Ballett tätig sein. Frank Andersen und John Neumeier haben ein Abkommen getroffen, das Riggins ausreichend Zeit lässt, seiner Arbeit für das und mit dem Königlich Dänischen Ballett nachzukommen. In Kopenhagen wird derweilen bereits über die Ablösung Andersens im Jahr 2006 spekuliert. Wird der neue Mann dann möglicherweise Lloyd Riggins heißen? Und bedeutet das dann die Ausweitung des Hamburger Ballettimperiums von John Neumeier auf Skandinavien, wo er in Kopenhagen und Stockholm ja bereits gut fundierte Basen unterhält.

Wieder einmal wundere ich mich über die Nichtreaktion der deutschen Presse auf die Meldung – jedenfalls habe ich bisher in den großen deutschen Zeitungen nichts über die Intensivierung der Ballett-Entente Hamburg-Kopenhagen gelesen. Wenn ich mir vorstelle, was für einen Aufruhr diese Pläne etwa in London, Paris oder New York hervorgerufen hätten! Es macht mich traurig zu sehen, wie die Marginalisierung des Balletts in der deutschen Presselandschaft immer beängstigendere Formen annimmt.

Übrigens meldet gleichzeitig auch Boston, dass es einen neuen künstlerischen Leiter für das Ballett gefunden hat (dort hatte es nach dem abrupten Ausscheiden Maina Gielguds, noch bevor sie ihr Amt angetreten hatte, eine mehrmonatige Hängepartie gegeben): den Finnen Mikko Nissinen, Jahrgang 1962, derzeit Direktor des kanadischen Alberta Balletts in Calgary. Und noch eine Kompanie hat ihren neuen Künstlerischen Leiter bekanntgegeben: beim English National Ballet wird der Schwede Mats Skoog (zuletzt Direktor des Royal New Zealand Ballet), Jahrgang 1957, Nachfolger von Derek Deane. Und was tut sich in Berlin?

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