Ballett des Badischen Staatstheaters Karlsruhe

Karlsruhe, 04/02/2001

Für sein abendfüllendes Ballett „My Marilyn“ hatte Pierre Wyss, neben sich als Librettist und Choreograf, drei Asse in der Hand: ein reizvolles und populäres Sujet, den Komponisten und Arrangeur Oliver Belz und vor allem seine Ehefrau Lisi Grether in der Titelrolle. Bei der Premiere im Jahre 1996 am Staatstheater Braunschweig haben alle drei gestochen. So war Wyss gut beraten, dass er dieses Stück dafür auswählte, sich seinem Publikum in Karlsruhe als künftiger Ballettdirektor zu empfehlen. Noch muss er nämlich bis zum Saisonende den Braunschweiger Vertrag erfüllen und ist bis dahin nur kommissarischer Leiter des Balletts am Badischen Staatstheater, dessen Chef Olaf Schmidt das Haus aus persönlichen Gründen Hals über Kopf verlassen hat. Da bleibt keine Zeit für neue Choreografien.

Die Karlsruher Truppe, mit Wyss' Tanzsprache naturgemäß noch nicht vertraut, schlägt sich wacker. Vor allem in den regelmäßig in Verfremdungen mündenden Revueszenen im Stil von Hollywoods Ausstattungsfilmen fegt sie mit bemerkenswertem Schwung und Engagement über die Bühne. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass in Monika Zeller-Schömigs Kostümpracht das Tanzen wirklich Spaß machen muss. Pierre Wyss, er stammt, wie seine Frau, aus der Stuttgarter Compagnie, liegt das Handlungsballett sehr am Herzen. In diesem über Marilyn Monroe benutzt er die bewährte Methode, die Heldin in drei Persönlichkeiten zu spalten, abgesehen von zwei weiteren Tänzerinnen für das Kind und den Teenager Norma Jean, wie die Monroe ursprünglich hieß. Lisi Grether als Gast spielt Marilyn, Eri Iwasaki, dunkelgrün geschminkt, ist ihr allgegenwärtiger, gefürchteter und oft ersehnter Tod, und Sara Leimgruber gibt das Klischee der blonden Diva, das von der wirklichen Marilyn zuweilen sogar zum Trost herbeizitiert wird.

Die zweistündige Choreografie erzählt zwischen Johannes Conens Warhol-Bühnenbildern das Leben dieses berühmtesten aller Filmstars penibel nach: die Vergewaltigungen durch diverse Stiefväter, die vielen Castings, oft mit Liebesdiensten verbunden, den ersten Auftritt bei Groucho Marx, ihr Starruhm, Marilyns Verzweiflung darüber, dass sie ausschließlich das blonde Dummchen spielen muss, ihre fehlgeschlagenen Ehen mit Ersatzvätern, ihr Kinderwunsch, die Kennedy-Affären. Zwar hat der Abend Längen, vor allem bei den grüblerischen Soli und dem häufigen Repetieren einzelner Phasen, aber sie werden mehr als wettgemacht von dramatisch packenden Szenen, etwa wenn Marilyn kurz vor ihrem Tod resigniert in die Besuche der Kennedy-Brüder einwilligt und nach einem solchen eine geölte Stimme aus dem Off in die Dunkelheit fragt: „Do you need some help, lady?“ Und von jenem faszinierenden Auftritt von Lisi Grether vor dem Vorhang, bei dem sie, die beängstigend perfekte Reinkarnation von Marilyn, so erregende wie erschütternde Interview-Antworten spricht und damit Wyss' Mutmaßungen authentisch werden lässt. Das ist großes Theater von einer großen Künstlerin.

Die von Oliver Belz raffiniert aus Original-Filmmusiken geschaffene, rhythmisch packende Klang-Metamorphose hat einen großen Anteil am Gelingen dieses Karlsruher Einstands von Pierre Wyss, der weniger durch seine choreografische Originalität, als vielmehr mit seiner theatralischen Wirksamkeit und Geradlinigkeit überzeugt. Wenn die Compagnie in der kommenden Spielzeit erst nach den Vorstellungen ihres neuen Direktors geformt sein wird, dann dürfte ihr eine interessante Zeit bevorstehen. Pierre Wyss jedenfalls schaut höchst optimistisch in die Zukunft.

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