Alles in allem überwiegt die solide Qualität

Die Noverre-Gesellschaft präsentierte wieder „Junge Choreografen“

Stuttgart, 28/05/2002

Elisa Carillo Cabrera, Katarzyna Kozielska, Ralitza Malehounova, Sabrina Russo, Jason Reilly und Mikhail Soloviev haben den anstrengendsten und erfolgreichsten Part in der jüngsten Ausgabe der Reihe „Junge Choreografen“ zu bewältigen, mit der die Noverre-Gesellschaft hoffnungsvollen Talenten die Gelegenheit gibt, sich im Stuttgarter Kammertheater mit ihren Arbeiten dem stets sehr interessierten Publikum zu präsentieren. Sie absolvieren zu einer brillanten Musikcollage in Marco Goeckes „Demigods“ einen außerordentlich schnellen Parforceritt fremdartigen, ekstatischen und elektrisierenden Tanzes, der mit seinen exotischen, hakeligen Ports de bras wie ein Stück aus einer anderen Welt anmutet. Zudem hat sich der Wuppertaler Choreograf eine faszinierende Beleuchtung ausgedacht, die allein schon alle Bewunderung verdient.

Bereits im vergangenen Jahr hatte Goeckes ambitioniertes „Chicks“ an gleicher Stelle großes Aufsehen erregt. Da reift offenbar ein einfallsreicher Tanzschöpfer von Format heran. Von den diesmal zehn gezeigten Werken stammten erstaunlicherweise nur vier von Tänzern des Stuttgarter Balletts, die sonst den Löwenanteil des Programms bestreiten. Immerhin steuerten sie, ausgenommen die vergleichsweise belanglose Traum-Tändelei „Recital“ von Alexander Makaschin, die am meisten ernst zu nehmenden Stücke bei. Alejandro Cerrudo Martinez' „David's Law“ ist ein flüssiges und reifes Werk über die Entwicklung von Persönlichkeiten und Lior Levs von ihm selbst getanztes Solo „No Exit“ beeindruckt durch die konsequente Dynamik, mit der es ihn und sein per Live-Video projiziertes Alter Ego in einer ausweglosen Situation zeigt.

Peter Quanz, Volontär des Stuttgarter Balletts, zum Glück wieder bei „Noverre“ mit von der Partie, schildert in „Ich bin Du“ zu Musik von Erriki-Sven Tüür das klug arrangierte Bemühen eines Individuums (Jiri Jelinek), dem trotz aller Anstrengungen das Finden eines Partners oder wenigstens die Geborgenheit in der Gruppe versagt bleibt. Und die freie Stuttgarter Choreografin Corinna Spieth nutzt in „Ein kurzes Stück“ (es ist das längste des Abends) das unerhörte expressive Talent der Gruppentänzerin Sarah Grether zu einer bemerkenswerten Studie über eine verhuschte Außenseiterin, die, selig in sich hineinhörend, durchs Leben flattert und der Hilfe nicht bedarf, die ihr von allen Seiten angeboten wird.

Beachtlich auch das elegische, klar strukturierte Solo „Points of You“, in dem der Karlsruher Tänzer Hugo Vieira zu Musik von Arvo Pärt die vorzüglich tanzende Sonoko Hashimoto zwischen vielen Black-outs auf eine Reise in die Tristeste schickt. Der Rest der „Auswärtigen“ produzierte eher am künstlerischen Anspruch der Reihe vorbei. Slava Gebners „Ein trauriger Abschied“ für fünf in Krinolinenunterröcken säuselnde Herren wäre selbst als Parodie unausstehlich, und die gleich zwei Beiträge des Wiesbadener Solisten Dimitrij Simkin, eine banal kalauernde, langweilige Persiflage auf „Schwanensee“ und das Solo „Only You“ sind bestenfalls unerheblich. Wenigstens rettet die begeisternde tänzerische und darstellerische Raffinesse Gauthiers (beim Erklingen des Titels schaut er traurig in seine Schlafanzughose) Simkins einzigen guten Einfall davor, von der Ideenlosigkeit der Choreografie verdrängt zu werden. Aber alles in allem überwiegt an diesem Abend doch die solide Qualität.

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