Besser nach Art der „Ariadne“?

Robert Wilson beschließt seinen „Ring des Nibelungen“ mit der „Götterdämmerung“

oe
Zürich, 23/05/2002

Welch ein Unterschied! Gestern, im gleichen Haus, knapp zwei Stunden lang eitel Gutgelauntheit und aus allen Nähten platzende Lebenslust bei Heinz Spoerlis „La Fille mal gardée“, heute nun, knapp sechs endlose Stunden lang, lähmende Beklommenheit und stumpfes Staunen bei der Secondière (oder vornehm ausgedrückt: der B-Premiere) der „Götterdämmerung“, mit der Robert Wilson seinen Zürcher „Ring des Nibelungen“ beschloss. Ich wünschte mir, beide Vorstellungen hätten gleichzeitig stattgefunden: links die „Fille“ (die dann allerdings dreimal hintereinander hätte gegeben werden müssen) und rechts die „Götterdämmerung“ – also nach Art der Dramaturgie von „Ariadne auf Naxos“.

Im Ernst: bei Wilson – wie schon an den vorausgegangenen „Ring“-Abenden – wieder ein in Schönheit erstarrtes rituelles Theater, ohne jeglichen menschlichen Bezug. Die Sänger, eingezwängt in Frida Parmeggianis Kleider-Skulpturen als Beweger mechanischer Figuren in äußerster Langsamkeit und meist silhouettenartigen Haltungen, mit abgewinkelt ausgebreiteten Armen und gespreizten Fingern. Keinerlei Körperkontakte – allenfalls Annäherungen der Hände. Ständig wechselnde Beleuchtung – weder dramaturgisch noch musikalisch motiviert, doch unzweifelhaft magische Stimmungen in betörender Schönheit beschwörend.

Totes Theater oder Ästhetizismus pur – ohne jeglichen Versuch einer individuellen Rollencharakterisierung. Die Beleuchtung differenzierter als die Darstellerregie, um die sich Wilson offenbar überhaupt nicht gekümmert, sondern der „Szenischen Leitung“ von Gudrun Hartmann überlassen hat. Früher hat Wilson mit der Choreografin Lucinda Childs zusammengearbeitet – und das ergab dann in seinen besten Produktionen Modellaufführungen eines faszinierenden choreografischen Theaters. Heute ist das alles in totaler Leblosigkeit erstarrt.

Allerdings wird so die Aufmerksamkeit ganz auf die Musik gelenkt – nicht jedoch auf deren Inhalt und Botschaft. Das kommt der Leistung des Zürcher Opernorchesters und seines scheidenden Chefdirigenten Franz Welser-Möst zugute – in eher unterschiedlicher Weise auch den Sängern (Siegfried: John Treleaven, Gunther: Cheyne Davidson, Hagen: Matti Salminen, Alberich: Rolf Haunstein, Brünnhilde: Gabriele Schnaut, Gutrune: Brigitte Jäger, Waltraute: Cornelia Kallisch).

Übrigens lese ich in diesen Tagen gerade die sensationelle Biografie von Greg Lawrence über Jerome Robbins (darüber demnächst ein eigenes kj). Dort kommt auch ein fünfundzwanzigjähriger Robert Wilson als Teilnehmer an Robbins‘ American Theater Laboratory vor, einer Experimentierwerkstatt für theatralische Cross-over-Projekte. Das war 1966 – und kommt mir heute vor wie eine Vorwegnahme gewisser tanztheatralischer Unternehmungen bei uns à la Bausch, Hoffmann und Kresnik bis zu Fabre, Stuart und Waltz.

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