Gewalt gegen das Publikum

Galili Dance mit „For Heaven‘s Sake“ im Ludwigsburger Forum

Ludwigsburg, 06/12/2002

Das Saallicht geht aus, und von der dunklen Bühne ist ein eintönig rhythmisches Klatschen zu vernehmen. Bald lässt sich heraushören, dass wohl Hände gegen Körper schlagen. Und tatsächlich – als sich allmählich ein senkrechter Lichtkegel Bahn bricht, werden zwei Männer erkennbar, die ihre Arme, Beine, Brüste und Bäuche mit Schlägen traktieren, bis sie sich nach und nach die Kleidung von den Leibern geschlagen haben und in Unterhosen weiter machen. Es nimmt kein Ende. Der Choreograf Itzik Galili will mit dieser nervtötenden Eröffnungssequenz seines einstündigen Stücks „For Heaven’s Sake“ offensichtlich Gewalt auf das Publikum im Ludwigsburger Forum-Theater ausüben. Es soll ihr gegenüber Stellung beziehen. Und das gelingt ihm: Die Zuschauer reagieren belustigt, klatschen mit, pfeifen, rufen „Buh“ und verstummen schließlich resignierend.

Galili ist eine der bekanntesten Figuren der auch international erfolgreichen, rauen israelischen Tanzszene. Seit dem Jahre 1997 leitet er die im niederländischen Groningen beheimatete Formation „Galili Dance“. Im kommenden Februar wird er sogar ein neues Stück für das Stuttgarter Ballett schaffen. Einige von dessen Tänzern waren folglich auch ins Forum gekommen, um schon einmal zu schauen, was sie wohl erwarten könnte.

Auf jeden Fall dürfte das ein sehr intensives Arbeiten werden. Denn Galili ist offenbar darauf bedacht, den Zuschauern seine Sicht der Dinge, hier die heute in vielfältigen Formen allgegenwärtige Gewalt, mit äußerstem Nachdruck geradezu optisch in ihre Seelen zu massieren. Als die beiden Flagellanten von ihren Kräften verlassen werden, marschieren hinter ihnen ihre in Armeeunterwäsche gekleideten acht Kolleginnen und Kollegen sowie fünf Musiker auf und treiben sie mit harter arabischer Perkussion an. Die Tänzer beginnen mit Kampfritualen oder Kampfübungen, die allerdings mit ihrer gleitenden Schönheit, den artistischen Duos und ihrer Synchronität eher wie eine Erziehung zur Friedfertigkeit anmuten.

Aus der wilden Musik wird eine klagende, und die Truppe zieht, es waren wohl doch Kämpfe, in einer langen, lahmen Karawane auf der Bühne ihre Kreise. Viele in ihr tragen kunstvolle Prothesen, laufen mit der Hilfe von Krücken. Fällt einer um, dann springen die anderen entsetzt zur Seite. Man raubt sich gegenseitig die Abfälle von den Mündern. Wieder, wie im ersten Teil, ziehen sich die ewig gleichen Bilder schier endlos dahin und verlieren dabei von Minute zu Minute ihre ursprüngliche Kraft. Der optisch-moralische Appell wird um ein Haar zum Langweiler.

Am Ende erscheinen ein Mann und eine Frau, die, sich gegenseitig stützend, wohl auf der Suche nach ihrer Familie sind. Ihnen folgt ein völlig mit Stahl umbauter Versehrter, der mit hohler Stimme zu einem vermeintlich Toten spricht.

Das hätte ein großer Abend werden können, und er hat auch seine sehr bewegenden Augenblicke. Aber Itzik Galilis Choreografie insistiert zu intensiv, sie dehnt ihre tänzerischen Argumente zu sehr, versucht mit ihrer nicht nachlassenden Wucht und Dauer mit Gewalt von der Gewalt zu sprechen und riskiert so, dass wir schließlich um ein Haar abwinken. Dennoch – eine fabelhafte Truppe und ein Choreograf, der mit ihr umzugehen weiß. Stuttgart wird ihm im kommenden Jahr wohl kaum eine Stunde Zeit geben. Das lässt hoffen.

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