Superglue und Subkultur
1200 Zuschauer feiern das Scapino-Ballet Rotterdam im Forum am Schlosspark
So richtig bekannt wurde das niederländische Scapino-Ballett in der Stuttgarter Gegend, seit der Stuttgarter Hauschoreograf Marco Goecke dort dieselbe Funktion inne hat. Mit jedem Besuch aber der in Rotterdam beheimateten, modernen Tanzkompanie steigt die Bewunderung: sie sind einfach gut, diese schnellen, ausdrucksstarken Tänzer. Dieses Mal hat Direktor Ed Wubbe sogar eine Uraufführung fürs Gastspiel in der Tanzreihe des Ludwigsburger Forums choreografiert. Zu einer Auswahl aus Bachs Cello-Suiten zeigte der Holländer das Duo „Beeswing“, dem Titel nach mehrfach deutbar als B.-, also Bach-Swing oder auch als Bienenschaukel. Der stürmisch-verspielte Pas de deux lässt weiche Wellen durch die Körper gehen, manchmal rasten die beiden Tänzer in ihren dunkelgrauen Uniformen sanft in klassischen Ballettposen ein, wie mechanische Puppen. Die elastische, hin- und zurückschwingende Bewegungssprache erinnert an ein Jojo oder an Ping-Pong, ganz anders als in dem halbstündigen „Holland“, das den Abend beschließt. Hier zeichnet Ed Wubbe ein durchaus eigenwilliges Panorama seines Heimatlandes, dunkel wie die Bilder alter holländischer Meister, von denen der dramatische Abendhimmel im Hintergrund geborgt ist.
Als wär’s ein Stück von Goecke, hat der Direktor des Scapino-Balletts alles Richtung Schwarz gerückt, die altmodischen Samtkappen der Männer und die runden Hauben der Frauen. Darunter tragen seine Tänzer dunkle Anzüge, die weißen Manschetten weisen auf ein Volk der fleißigen Kaufleute hin. An dem Harmonium im Hintergrund, dessen getragene Musik ebenfalls in die Vergangenheit verweist, steht regungslos ein Bärtiger, der trotz seines exotischen Turbans wie ein Teil des Bildes wirkt. Immer wieder fegt ein Trupp der Anzugträger mit weiten, rhythmischen Bewegungen über die Bühne, fast surreal klirren die Röckchen aus Metallröhren, die sich die ganze Tänzerschar zwischendurch umschnallt. Die einzige Farbe in dieses düstere Holland bringen zwei riesige, schwebende Kugeln aus Tulpenblüten. Ebenfalls zu Bach, nämlich zur Orchestersuite Nr. 4, schuf Marco Goecke sein selbstironisch betiteltes „Suite Suite Suite“, den klassischen Nachklapp zum Luftballon-Opus „Sweet Sweet Sweet“.
Obwohl das für Leipzig entstandene Werk erst zwei Jahre alt ist, merkt man den deutlichen Unterschied zum heute eher verinnerlichten, lyrischeren Goecke-Stil von „Orlando“. Die Choreografie wirkt fahriger, gereizter, noch streut der Choreograf seine kleinen Frechheiten ein, etwa ein lautes Hatschi aller Tänzer oder provozierend lange Pausen zwischen den Sätzen. Manchmal neigt Goeckes Reaktion auf die festliche Polyphonie gar zur Parodie, sieht aber noch in der exzentrischsten Zappelei ungemein musikalisch aus. Der Thomaskantor ersteht sogar als Mensch: dicke Stiefel baumeln an Schnürsenkeln neben den Füßen der Tänzer und weisen auf den Wanderer Bach.
Sehr viel stiller mutet dagegen Goeckes neuestes Werk „Feuervogel“ an, uraufgeführt vor vier Wochen bei einer Gala in Maastricht. Zur gloriosen Final-Apotheose aus Strawinskys berühmter Komposition für die Ballets Russes umgarnen sich hier Mann und Vogelfrau, finden sich in einer von Fremdheit zu Nähe wachsenden Beziehung. Krallen, stilisierte Flügel, selbst das verzauberte Ei aus dem russischen Libretto meint man in den zeichenhaften Armhaltungen zu erkennen, die eine geheime Verständigung zwischen Mensch und Zauberwesen erahnen lassen. Der triumphalen Musik lässt Goecke als Antiklimax ein musikloses Nachspiel folgen. Kein Zweifel, seine zweite Heimat in Holland hat ebenso Anteil an der hochspannenden Entwicklung des Stuttgarter Hauschoreografen.
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