Ist das Stuttgarter Ballett verschollen?

oe
Stuttgart, 12/02/2002

Drei Monate nach der zehntägigen Fete anlässlich seines vierzigsten Geburtstags ist das Stuttgarter Ballett wie von der Erdoberfläche verschwunden. Am 27. Januar, also vor sechzehn Tagen, ist die Kompanie von Stuttgart-Echterdingen zu seiner Gastspieltournee nach Korea und Japan aufgebrochen. Seither haben wir nichts mehr von ihr gehört – allenfalls ein Gerücht, dass Sue Jin Kang in Seoul als Kameliendame wie eine Nationalheilige gefeiert worden ist. Indessen keine Nachrichten aus dem Pressebüro, kein Bericht in den beiden Stuttgarter Lokalzeitungen, geschweige denn ein Report eines mitgereisten Kritikers. Ist auch keiner mehr mitgereist, denn das kann sich offenbar keine unserer Gazetten mehr leisten.

Das waren noch Zeiten, da wir – und damit meine ich nicht nur mich – die Kompanie auf ihren Reisen nach Amerika, nach China, in die Sowjetunion begleiteten! Hat das nun zu bedeuten, dass solche Gastspieltourneen heute so selbstverständlich geworden sind, dass es sich einfach nicht mehr lohnt, darüber zu berichten (weil es, zumindest aus der Stuttgarter Perspektive, ohnehin immer die gleichen, inzwischen gut ein Vierteljahrhundert alten Ballette sind, die auf dem Programm stehen – was freilich bei den Gastspielen des Hamburger oder des Zürcher Balletts nicht der Fall ist, die mit ihren neuen Neumeier- oder Spoerli-Kreationen in aller Welt gefragt sind)?

Oder zeichnet sich darin die Marginalisierung des Balletts in der Einschätzung der Medienchefs ab, die der Meinung sind, dass die ihnen zur Verfügung stehende Zeit in den Fernseh- und Radiomagazinen oder der Raum in den Printmedien zu kostbar sind, um ihn für eine umfassende Berichterstattung zu verschwenden? Ich fürchte, dass beides zutrifft. Die Rituale bei diesen Tourneen sind ja immer dieselben: mehr oder weniger umjubelte Vorstellungen, ein paar Kontakte zu lokalen Tanzgrößen, ein Empfang in der Botschaft mit den üblichen Danksagungen und der Betonung, wie wichtig ein solcher Kulturaustausch ist. Doch die Aufbruchszeit des deutschen Balletts – dieses erstaunliche Phänomen der fünfziger, sechziger, siebziger und auch noch der achtziger Jahre – ist vorbei, seine Dynamik regrediert, sein Stellenwert gegenüber Film, Schauspiel, Oper und Bildender Kunst merklich gesunken.

Und haben die Medien nicht selbst dazu beigetragen? Hat sich die Ballettberichterstattung nicht peu à peu immer weiter ins Abseits drängen lassen? Was mich allerdings wundert, ist, dass die Tanzbegeisterten, die es ja allenthalben – und nicht nur auf Seiten der Aficionados des Tanztheaters – gibt (zumindest in Stuttgart, Hamburg und München sogar en masse), sich das gefallen lassen, dass sie ihrer Frustration nicht in enragierten Leserbriefen Luft machen. Vielleicht sollten sich die Sachbearbeiter für Öffentlichkeitsarbeit, auf die inzwischen kein Theater mehr verzichten kann, zusammentun und eine konzertierte Aktion für das Ballett starten!

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