Katalanische Tanzwochen im Künstlerhaus Mousonturm enden
„Viatges a la felicitat“ vom Teatre Nacional de Catalunya
„Vamos“, sagt die gepflegte spanische Dame mittleren Alters halblaut vor sich hin, während sie mit ihren Hacken energisch den Boden malträtiert, „Vamos!“ Joaquín Cortés soll endlich den blöden, offenen Mantel abwerfen, hinter dem immer wieder sein nackter, schweißglänzender Oberkörper lockend hervor leuchtet. „Vamos!“ Endlich ist es so weit.
Gellender Jubel erfüllt den Stuttgarter Hegelsaal. Falls dieses weltweit glühend verehrte Flamenco-Idol unserer Tage im Laufe seiner Tournee noch zwei oder drei Kilos abnehmen würde, dann dürfte der Jubel womöglich noch frenetischer werden. Schon als Cortés eine halbe Stunde zuvor seinen klatschnassen Pferdeschwanz öffnete, erntete er für diese verheißungsvolle Aktion kreischende Dankbarkeit.
Seine neue Show „Live“ ist eine Sache ausschließlich zwischen Joaquín Cortés und den Frauen, bei der eben auch Männer zugelassen sind. Mancher von ihnen staunt nicht schlecht darüber, zu welchen Temperamentsausbrüchen seine sonst so zurückhaltende Partnerin fähig ist. Cortés ist in Wahrheit ein Popstar, dessen Affären mit den berühmtesten Models und Hollywood-Schauspielerinnen von seinen weiblichen Fans mindestens so heftig diskutiert werden, wie seine Bühnenauftritte. Diese sind indes nurmehr so viel Flamenco, wie ein Streichquartett Kammermusik wäre, wenn es von einer Bigband gespielt würde. Cortés sprengt alle Fesseln des strengen Flamenco-Regelwerkes, er schlägt sich auf den Körper, reckt die Schwörhände ins Light Design von Juanjo Beloqui, sein Schrittmaterial ist um afrikanische und schottische Elemente, Pases der spanischen Corrida, Anleihen aus Tap Dance, klassischem Tanz und anderen Bühnenkünsten erweitert, das mit Bodenmikrofonen extrem verstärkte Knattern seiner Schuhe kracht wie Geschützsalven in den Saal. Die multikulturelle Musik seiner zwanzigköpfigen, exzellenten Truppe aus Geigern, Cellisten, Flötisten, Gitarristen, Percussionisten und Sängern unterlegt dieses optische und akustische Crescendo des Stars mit einer Soundwolke, deren Gewalt Popkonzerten durchaus Paroli bieten könnte.
Joaquín Cortés ist ein Tänzer von Format. Er hechtet mit mächtigen Sprüngen dahin, galoppiert, scheint sich mit seinen Presslufthammer-Stakkati in den Boden graben zu wollen, seine langsamen Pirouetten sind makellos, immer wieder verfällt er in die spastische Ekstase des Flamenco, die ihn beinahe zu zerreißen droht. Und das alles in todschicken Anzügen von Armani, deren Hosen sämtlich verteufelt eng um die Hinterbacken sitzen. Deshalb lupft Cortés auch zuweilen die Jackenschöße, um den Damen ungehinderte Blicke auf diese beiden Wunder der Natur zu gewähren.
Cortés schont weder sich noch seine Musiker - „Live“ ist anderthalb pausenlose, effektvolle Stunden Power, Power, Power. Und das Schöne an ihnen ist, dass sich dieser Superstar des Showgeschäfts nicht wirklich ernst zu nehmen scheint. Sein offenes Lachen, sein selbstironisches Kokettieren mit dieser an Delirien grenzenden Begeisterung machen ihn ungemein sympathisch. Wenn ihm danach ist, dann stellt er sich nach einer Nummer an die Rampe und legt den Zeigefinger an ein Ohr: Höre ich etwas? Und dann bricht das infernalische Gekreische wieder los! Und einmal stellt er sich für gut eine Minute einfach lächelnd hin: So, jetzt könnt ihr euch in Ruhe austoben. Aber sie haben ja Recht, die da ausrasten. Das ist schon eine tolle Show. Eine weitere wird am 3. April an gleicher Stelle sein.
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