Goecke geht nach Basel
Marco Goecke folgt dort planmäßig auf Adolphe Binder
Der 31-jährige Choreograf aus Wuppertal hat vor kurzem den „Prix Dom Pérignon“ bei den Hamburger Ballett-Tagen gewonnen. Wie schon die Stücke „Chicks“ und „Demigods“ entstand auch die in Hamburg preisgekrönte Choreografie „Blushing“ für die „Jungen Choreografen“-Abende der Stuttgarter Noverre-Gesellschaft. Marco Goecke hat eine klassische Ballettausbildung absolviert, war in Berlin und Hagen engagiert und lebt jetzt in Stuttgart.
tanznetz: Sie stammen aus Wuppertal. Haben Sie viel Pina Bausch gesehen?
Marco Goecke: Ja, schon als Kind. Ich habe natürlich Pina nie vergessen - sie war das, was mich wirklich fasziniert hat. Ich fühle mich der Sache dort verbunden, weil das einfach Heimat ist. Trotzdem hab‘ ich jetzt meine eigenen Stücke gemacht, und sie selbst ist dann auch nicht mehr so wichtig wie früher für mich.
tanznetz: Wie entsteht ein eigener choreografischer Stil? Wie setzt man sich von so einem übergroßen Vorbild ab, von Vorbildern überhaupt?
Goecke: Das kann man gar nicht. Ich kann sicherlich nichts machen, was ich nicht irgendwann schon mal mitbekommen habe. Aber ich kann es so machen, wie ich es möchte, und damit ist es auch etwas anderes. Choreografen wie Bausch oder Kylián oder Forsythe haben in den letzten dreißig Jahren alles ausgeschöpft, so dass es für uns schwierig ist. Es ist einfach alles schon mal da gewesen. Aber das, was wir leben, ist auch schon mal alles da gewesen! Die Liebe ist auch schon tausendmal erklärt worden und man versucht es immer wieder... Man kann sich auf sich selbst verlassen, dass man in sich noch etwas findet und dann den Mut hat, das zu machen.
tanznetz: Sie haben gesagt, Sie arbeiten nicht für den Publikumsgeschmack. Nehmen Sie irgendwie zur Kenntnis, wie das Publikum reagiert? In „Chicks“ zum Beispiel haben Sie ein Gewehr auf die Zuschauer gerichtet, das hat viele Leute erschreckt.
Goecke: Ich weiß schon, dass die Leute bei meinen Stücken reagieren, dass sie wacher werden. Das Gewehr... Ich bin mal in Amsterdam mit einer Pistole bedroht und ausgeraubt worden – wie soll man so ein Gefühl mitteilen? Und was wir so an Krieg im Fernsehen konsumieren, da empfindet man doch eigentlich nichts – man schaltet um und geht ins Bett. Theater hat die Möglichkeit, das direkt zu zeigen, da war das Gewehr natürlich wirkungsvoll.
tanznetz: Die verstörenden Effekte sind also beabsichtigt?
Goecke: Ich denke viel an Effekte. Wenn sie verstörend sind, noch besser. Aber ich hoffe, dass die Effekte immer auch eine Aussage haben. Ich muss ja auch unterhalten – ich habe die Pflicht, den Leuten etwas Unterhaltendes zu bieten, egal was immer ich sagen will. Das habe ich auch in Wuppertal gelernt – das hat Pina Bauschs Erfolg mit ausgemacht, dass sie immer diesen Blick fürs Unterhaltende hat. Man hat ja damals auch gesagt, das seien eigentlich Revuen.
tanznetz: Ihre Stücke werden völlig unterschiedlich ausgelegt – zu „Chicks“ zum Beispiel gab es die Deutungen Zweiter Weltkrieg oder Homosexualität, im Publikum haben auch Leute herzhaft gelacht.
Goecke: Ich arbeite so, dass ich gar kein Konzept habe. Es entwickelt sich einfach mit jedem Tag oder mit den Notizen, die ich mir mache. Was die Leute hinterher darüber sagen oder denken, erstaunt mich dann auch – aber das ist doch der Sinn der Sache. Wenn ein Kritiker darin etwas von nicht gelebter Homosexualität erkennt, dann hat er damit mehr über sich gesagt als über mich... Ich frage mich immer: müssen die mich erkennen oder müssen die sich erkennen? Ich glaube nicht, dass es so interessant ist, was ich wirklich privat erlebe.
tanznetz: Sie waren im letzten Jahr beim Diamond Project des New York City Ballet eingeladen, dem begehrtesten amerikanischen Workshop für junge Choreografen. Unterscheidet sich das, was amerikanische Ballettdirektoren oder das amerikanische Publikum von einem modernen Choreografen erwarten, von der deutschen Erwartungshaltung?
Goecke: Ich denke schon. Ich glaube aber, dass das, was aus Europa kommt, auch in Amerika sehr erfolgreich ist, nur erst ein bisschen später. Pina Bausch wird in New York gefeiert, aber das hat eine ganze Zeit gebraucht. Was ich in Amerika gesehen habe, das war schon ganz anders als hier - einfach viel biederer. Aber nach dem Workshop haben sie mich jetzt gefragt, ob ich ein Solo für einen Tänzer machen möchte. Ich finde das schon sehr mutig von denen! Das Programm mit Tänzern des New York City Ballet geht auf dieses berühmte Festival nach Jacob's Pillow und dann ins Joyce Theatre am Broadway, das ist schon eine Ehre.
tanznetz: Was erhoffen Sie sich durch den Hamburger Preis?
Goecke: Ich werde „Blushing“ in Hamburg einstudieren und das Stück geht dort ins Repertoire, und ich werde mich natürlich weiter damit bewerben - obwohl ich gerne weiter hier in Stuttgart arbeiten möchte, es ist schon ein magischer Ort. Die Auswahl der Tänzer hier ist fantastisch, die können wirklich alles, das kann man nicht anders sagen. Hier möchte auch keiner weg, es ist eine ganz besondere Atmosphäre.
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