Birgit Keil zum sechzigsten Geburtstag

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Stuttgart, 22/09/2004

Nein, so weit geht ihre neu gewonnene Ballettbegeisterung denn doch nicht, dass sie ihr zu Ehren die Glocken läuten! Aber eine hübsche Pointe ist es schon, dass just heute, am sechzigsten Geburtstag von Birgit Keil in Karlsruhe die „Europäischen Glockentage“ beginnen, mit einer feierlichen Prozession der ältesten Glocke Europas, die um 800 in Schottland gegossen wurde: die große Birgit sozusagen! In ihrer Karriere spiegelt sich der Aufstieg des deutschen Balletts nach dem Zweiten Weltkrieg zu seiner heutigen Stellung in der internationalen Hierarchie.

Geboren im Sudetenland, kam sie als Flüchtlingskind nach Deutschland, absolvierte ihre ersten Tanzschritte in einer Ballettschule in Bad Kissingen und übersiedelte als Zehnjährige mit ihren Eltern nach Stuttgart. Hier begann sie mit ihrer regulären Tanzausbildung, debütierte bereits 1955 in Beriozoffs „Dornröschen“, holte sich ihren Ballerinenschliff als Stipendiatin an der Royal Ballet School in London, erhielt 1961 ihren ersten Gruppenvertrag beim Stuttgarter Ballett und avancierte unter dem neuen Stuttgarter Ballettdirektor John Cranko bereits 1962 zur Solistin.

Von da an war ihre Karriere nicht mehr aufzuhalten – erwies sie sich als ideale Inspirationsmuse für so unterschiedliche Choreografen wie Cranko, MacMillan, Tetley, Spoerli, Keres, Neumeier, van Manen, Kylián und Feld bis zu den damaligen Youngsters à la Forsythe, Scholz und Kurz, gastierte rund um den Globus und wurde so zur ersten deutschen Ballerina von Weltruf nach der Braunschweigerin Adele Grantzow, die von 1845 bis 1877 lebte, in Paris, Moskau und St. Petersburg engagiert war und an der Pariser Opéra eigentlich die Swanilda in „Coppelia“ kreieren sollte, wozu es dann doch nicht kam, da sie sich eine Fußverletzung zugezogen hatte (eine ihrer besten Rolle hatte Keil dann eben als Swanilda bei Keres in Wiesbaden).

Mit ihrem Partner Vladimir Klos zusammen wurde sie schon relativ früh eine begehrte Pas-de-deux-Dozentin bei der Kölner Internationalen Sommerakademie des Tanzes: die Grundlage ihrer zweiten Karriere als Pädagogin, die sie konsequent nach ihrem 1995 erfolgten Abschied als Ballerina zunächst mit der Gründung der nach ihr benannten Stiftung für den Tänzernachwuchs und zwei Jahre später als Leiterin der Mannheimer Akademie des Tanzes an der dortigen Hochschule für Musik ausbaute.

Und zwar so erfolgreich, dass sie zur Spielzeit 2003/04 als Ballettdirektorin ans Badische Staatstheater Karlsruhe engagiert wurde, wo sie es schaffte, binnen eines Jahres die Kompanie an Haupt und Gliedern derart zu reformieren, dass sie mit ihrem jugendlichen Elan vital die Stadt in eine kaum für möglich gehaltene Ballettbegeisterung katapultierte. Dabei profitierte sie von dem geglückten Experiment einer engen Zusammenarbeit mit der Mannheimer Akademie, die es ihr gestattet, auch größer besetzte Stücke auf einem künstlerischen Niveau herauszubringen, wie es der Bewerbung Karlsruhes um Anerkennung als europäische Kultur-Hauptstadt im Jahr 2010 entspricht.

Sie hat ihre Stuttgarter Lektion offenbar gründlich gelernt, und so spürt man in den Karlsruher Ballettvorstellungen mit ihrem harmonisch ausgewogenen Repertoireangebot an klug ausgewählten Klassikerproduktionen und Kreationen einen Hauch von jener Aufbruchsstimmung, wie er seinerzeit Stuttgart elektrisierte, als Cranko hier seine Arbeit aufnahm. Noch ist es zu früh, doch Keils Planungen für die neue Spielzeit nähren die Hoffnung, dass sich hier vielleicht eines nicht mehr allzu fernen Tages ein „Karlsruher Ballettwunder“ ereignen könnte – besonders wenn es ihr gelänge, einen jungen kreativen Choreografen heranzuziehen, der imstande ist, der Kompanie seinen persönlichen Stempel aufzuprägen. Dafür läuten heute sämtliche Tanzglocken des www.tanznetz.de!

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